EU-Außenminister: Iran-Konflikt führte wohl zu Flugzeug-Absturz

10.01.2020 16:20

Mitten im militärisch ausgetragenen Konflikt zwischen den USA und dem
Iran stürzt bei Teheran ein ukrainisches Flugzeug mit 176 Menschen an
Bord ab. Die Außenminister der EU-Staaten reagieren bei einem
Krisentreffen in Brüssel auf die brenzlige Lage.

Brüssel (dpa) - Der Absturz einer ukrainischen Passagiermaschine bei
Teheran hängt nach Überzeugung mehrerer EU-Länder eng mit dem
kriegerischen Konflikt zwischen den USA und dem Iran zusammen. Bei
einem Krisentreffen in Brüssel wegen der jüngsten Spannungen im Nahen
Osten erklärten die Außenminister einiger EU-Staaten am Freitag, sie
gingen von einem versehentlichen Raketenbeschuss des Flugzeugs mit
176 Menschen an Bord aus.

Bundesaußenminister Heiko Maas sagte, man müsse derzeit davon
ausgehen, dass der Absturz «möglicherweise» vom irrtümlichen Abschu
ss
einer Flugabwehrrakete verursacht wurde. Diese Annahme sei
«plausibel», sagte auch der niederländische Ressortchef Stef Blok.
Maas forderte wie mehrere seiner Amtskollegen eine lückenlose
Aufklärung: «Es darf nichts unter den Tisch gekehrt werden, denn wenn
das der Fall wäre, wäre das der Nährboden für neues Misstrauen.»


Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erklärte den «Unfall
»
eines Raketenbeschusses mit der «kriegerischen Nervosität» in der
Region. «Es sind mutwillig 176 Leben vernichtet worden», sagte
Asselborn vor dem Krisentreffen mit seinen Amtskollegen. «Diese
kriegerische Nervosität muss aufhören.»

Die Spannungen im Nahen Osten hatten zuletzt stark zugenommen. Die
USA hatten vergangene Woche den iranischen Top-General Ghassem
Soleimani mit einem Luftangriff in der irakischen Hauptstadt Bagdad
gezielt getötet. Der Iran reagierte in der Nacht zum Mittwoch mit
Vergeltung. Kurz darauf stürzte die ukrainische Boeing nahe Teheran
ab. Der Iran hatte sich nach der Tötung Soleimanis zudem weiter aus
dem Atomabkommen von 2015 zurückgezogen. Die EU hält - entgegen
Forderungen von US-Präsident Donald Trump - daran fest.

Zuletzt hatten sich die Hinweise auf einen Raketenbeschuss des
Flugzeugs verdichtet. Die Regierungen in Kanada und Großbritannien
haben nach eigenen Angaben entsprechende Informationen. Auch in den
USA wird diese Theorie nach US-Medienberichten verfolgt. Bei dem
Absturz kamen 176 Menschen ums Leben, 63 Opfer waren Kanadier.

Mehrere Außenminister betonten in Brüssel, man müsse am Atomabkommen

mit dem Iran festhalten. Dies hindere den Iran an der Entwicklung von
Atomwaffen, sagte Maas. Der finnische Außenminister Pekka Haavisto
sagte, das Abkommen biete einen wichtigen Gesprächskanal. Wichtig sei
eine gemeinsame Haltung zum Abkommen mit dem Iran. Der slowakische
Außenminister Miroslav Lajcak sagte über das Abkommen: «Es ist nicht

tot, wir müssen es wiederbeleben.» Mehrere Minister betonten, dazu
müsse sich vor allem der Iran bewegen.

Maas meinte, die unmittelbare Kriegsgefahr im Nahen Osten sei erstmal
gebannt. Sein Kollege Asselborn sagte, es gehe in der Region nun um
die Frage, «wie kann man nachhaltig stabilisieren für die Zukunft».
Aus Maas' Sicht ist es sinnvoll, den Kampf gegen die Terrormiliz
Islamischer Staat in dem Land fortzusetzen. «Das jetzige Ende des
Kampfes gegen den IS im Irak würde das Land ganz erheblich
destabilisieren und neue Spielräume für den IS schaffen», sagte er.

Asselborn warnte, der Konflikt könnte auf Nachbarländer übergreifen:

«Der Irak darf nicht Theater werden von diesen kriegerischen
Auseinandersetzungen.» Möglicherweise könne die Nato dort eine
größere Rolle spielen als bisher. Dies hatte US-Präsident Donald
Trump jüngst gefordert.

Die Außenminister wollten sich auch mit der Lage in Libyen
beschäftigen. «Wenn es uns nicht gelingt, in Kürze eine politische
Lösung für Libyen zu finden, dann wird Libyen das zweite Syrien»,
sagte Maas. In dem nordafrikanischen Land herrscht seit Jahren
Bürgerkrieg. Die international anerkannte Regierung von Fajis
al-Sarradsch kämpft mit dem einflussreichen General Chalifa Haftar um
die Macht. Berlin bemüht sich seit Monaten mit Unterstützung anderer
EU-Staaten um eine politische Lösung.