EU warnt vor wachsenden Risiken in Libyen - Sorge über Iran

10.01.2020 21:39

Zwei Krisen, ein Sondertreffen: Die EU-Außenminister beraten, wie sie
zwei Brandherde in der europäischen Nachbarschaft und dem Nahen Osten
eindämmen können. Sie sammeln Ideen für Libyen und hoffen auf eine
Lösung im Iran-Konflikt.

Brüssel (dpa) - Wachsende Risiken im Bürgerkriegsland Libyen wollen
die EU-Außenminister mit stärkerem europäischem Engagement kontern.
«Wir sind uns einig, dass wir uns stärker engagieren müssen, bevor es

zu spät ist», sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag

nach einem Sondertreffen der Minister in Brüssel. Es gelte, sich auf
die Überwachung eines möglichen Waffenstillstands, die Kontrolle des
Waffenembargos und andere Sicherheitsmaßnahmen zu konzentrieren,
sagte Borrell. Die Minister seien einig, dass er dafür Vorschläge
erarbeiten solle. Man wolle den Einsatz für eine politische Lösung im
Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses verstärken.

«Wenn es uns nicht gelingt, in Kürze eine politische Lösung für
Libyen zu finden, dann wird Libyen das zweite Syrien», sagte
Bundesaußenminister Heiko Maas. In dem nordafrikanischen Land
herrscht seit Jahren Bürgerkrieg. Die international anerkannte
Regierung von Fajis al-Sarradsch kämpft mit dem einflussreichen
General Chalifa Haftar um die Macht. Berlin bemüht sich seit Monaten
mit Unterstützung anderer EU-Staaten um eine politische Lösung.

Der UN-Sonderbeauftragte Ghassan Salamé habe die Minister bei dem
Treffen erneut über die angespannte Situation in dem Bürgerkriegsland
unterrichtet, berichtete Borrell. Demnach kämen Kämpfer aus Syrien
und dem Sudan nach Libyen. Außerdem arbeiteten 700 000 Menschen aus
Ländern südlich der Sahara in dem Land, die bei einer Verschärfung
der Lage in Libyen eine Weiterreise nach Europa versuchen könnten.
Auch die Terrorgefahr wachse. «Wir haben viele gute Gründe, vom Reden
zum Handeln überzugehen», sagte Borrell.

Zum Absturz einer ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran äußerten
Teilnehmer des Krisentreffens die Überzeugung, die Katastrophe hänge
eng mit dem kriegerischen Konflikt zwischen den USA und dem Iran
zusammen. Mehrere Außenminister und Nato-Generalsekretär Jens
Stoltenberg sagten, sie gingen von einem versehentlichen
Raketenbeschuss des Flugzeugs mit 176 Menschen an Bord aus.

Zuletzt hatten sich die Hinweise auf einen iranischen Raketenbeschuss
des Flugzeugs verdichtet. Die Regierungen in Kanada und
Großbritannien haben nach eigenen Angaben entsprechende
Informationen. Auch die USA halten dies für wahrscheinlich. Bei dem
Absturz kamen 176 Menschen ums Leben, 63 Opfer waren Kanadier.

Bundesaußenminister Maas sagte, man müsse derzeit davon ausgehen,
dass der Absturz «möglicherweise» vom irrtümlichen Abschuss einer
Flugabwehrrakete verursacht wurde. Diese Annahme sei «plausibel»,
sagte auch der niederländische Ressortchef Stef Blok. Maas forderte
wie mehrere seiner Amtskollegen eine lückenlose Aufklärung: «Es darf

nichts unter den Tisch gekehrt werden, denn wenn das der Fall wäre,
wäre das der Nährboden für neues Misstrauen.»

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erklärte den «Unfall
»
eines Raketenbeschusses mit der «kriegerischen Nervosität» in der
Region. «Es sind mutwillig 176 Leben vernichtet worden», sagte
Asselborn vor dem Krisentreffen mit seinen Amtskollegen. «Diese
kriegerische Nervosität muss aufhören.»

Die Spannungen im Nahen Osten hatten zuletzt stark zugenommen. Die
USA hatten in der Nacht zum 3. Januar den iranischen Top-General
Ghassem Soleimani mit einem Luftangriff in der irakischen Hauptstadt
Bagdad gezielt getötet. Der Iran reagierte in der Nacht zum Mittwoch
mit Angriffen auf zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im Irak.
Kurz darauf stürzte die ukrainische Boeing nahe Teheran ab. Der Iran
hatte sich nach der Tötung Soleimanis zudem weiter aus dem
Atomabkommen von 2015 zurückgezogen. Die EU hält - entgegen
Forderungen von US-Präsident Donald Trump - daran fest.

Mehrere Außenminister betonten in Brüssel, man müsse am Atomabkommen

mit dem Iran festhalten. Dies hindere den Iran an der Entwicklung von
Atomwaffen, sagte Maas. Der finnische Außenminister Pekka Haavisto
sagte, das Abkommen biete einen wichtigen Gesprächskanal. Wichtig sei
eine gemeinsame Haltung zum Abkommen mit dem Iran. Der slowakische
Außenminister Miroslav Lajcak sagte über das Abkommen: «Es ist nicht

tot, wir müssen es wiederbeleben.»

«Wir sind bereit, diesen Deal beizubehalten. Aber dafür muss Teheran
seine Verpflichtungen erfüllen», sagte Borrell. Zugleich warnte der
EU-Außenbeauftragte vor einem Scheitern des Atomabkommens mit dem
Iran. «Vielleicht können wir nicht verhindern, dass das Abkommen am
Ende aufgelöst wird», sagte er.

Maas meinte, die unmittelbare Kriegsgefahr im Nahen Osten sei erstmal
gebannt. Sein Kollege Asselborn sagte, es gehe in der Region nun um
die Frage, «wie kann man nachhaltig stabilisieren für die Zukunft».
Aus Maas' Sicht ist es sinnvoll, den Kampf gegen die Terrormiliz
Islamischer Staat im Irak fortzusetzen. «Das jetzige Ende des Kampfes
gegen den IS im Irak würde das Land ganz erheblich destabilisieren
und neue Spielräume für den IS schaffen», sagte er.