«We will miss them» - Letzte Sitzungswoche für Briten in Straßburg Von Amelie Richter und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

14.01.2020 15:40

Am 31. Januar soll Großbritannien die EU verlassen. Im
Europaparlament debattieren die Parlamentarier aus dem Vereinigten
Königreich noch einmal mit ihren Kollegen. Welche Änderungen bringt
der Brexit für das EU-Parlament und die Abgeordneten?

Straßburg (dpa) - In der blassen Wintersonne glänzen die
silberfarbenen Fahnenstangen vor dem Straßburger Europaparlament. An
einem der Pfosten flattert der Unionjack, voraussichtlich zum letzten
Mal in einer Sitzungswoche in der französischen Stadt. «Jetzt ist der
Kampf verloren», sagt der Labour-Abgeordnete Seb Dance der Deutschen
Presse-Agentur. «Ein unglaubliches Gefühl der Traurigkeit».

Dance hat gegen den Brexit gekämpft, vergeblich. Am 31. Januar soll
der britische EU-Austritt nun tatsächlich über die Bühne gehen. Für

Dance ist es das Ende seiner Karriere im Europaparlament - und das
Ende eines historischen Kapitels. «Der Job ist ein Job, aber die
Beziehung, die man zum eigenen Land hat, wird sich auf eine Weise
ändern, die wirklich bestürzend ist», sagt Dance. Was er seinen
Kollegen im Parlament als Botschaft hinterlassen möchte? «Nehmt
nichts als selbstverständlich. Vielleicht ist niemand anderes dumm
genug, ein Rein-Raus-Referendum abzuhalten.»

Auch den Parlamentskollegen aus anderen EU-Ländern fällt der Abschied
von den Briten nicht leicht. «Mit Ausnahme der Abgeordneten der
Brexit Party waren die britischen Kolleginnen und Kollegen
fraktionsübergreifend respektiert», sagt der Vorsitzende des
Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU) - «We
will miss them.» (Auf Deutsch: «Wir werden sie vermissen.») Ohne die

Briten werde das Parlament nicht nur kleiner, sondern auch ärmer an
politischer Kontroverse, an trockenem Humor und häufig guter
Rhetorik, sagt auch der Linken-Brexit-Experte Martin Schirdewan.

Das britische Volk solle wissen, dass sie - trotz des Brexits, trotz
allem, was in den vergangenen vier Jahren passiert sei - immer in der
Europäischen Union willkommen sein werden, sagte der spanische
Abgeordnete Esteban González Pons während der Debatte zum künftigen
Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien am Dienstag im Plenum.
«Egal, was nach dem 31. Januar passiert, ihr werdet immer zu Europa
gehören.»

«Warum hat (der britische Premier) Boris Johnson so eine große
Mehrheit in der letzten Wahl gewonnen?» fragte Ann Widdecombe von der
Brexit-Partei aufgebracht in das Plenum. «Weil sein grundlegendes
Versprechen war: «Den Brexit zu Ende bringen!»» Millionen von
Menschen hätten dafür gestimmt, die EU zu verlassen, so Widdecombe.

Straßburg ist die vorletzte Etappe - zum allerletzten Mal werden die
Briten Ende Januar in Brüssel an einer Sitzung des Europaparlaments
teilnehmen und dann auch noch fast als letzte Amtshandlung über das
Brexit-Abkommen abstimmen. Zwei Tage später, um Mitternacht, soll die
Mitgliedschaft in der EU dann beendet sein. «Ich wünsche den Briten
viel Erfolg und der EU, dass sie endlich aufwachen und von ihrem
Irrweg abkehren möge», gibt ihnen der AfD-Europaabgeordnete Jörg
Meuthen mit auf den Weg.

Für die 73 Briten im Europaparlament heißt es zwar «Goodbye» - doch

für 27 Politiker aus 14 EU-Staaten startet mit dem Brexit die
Amtszeit im Europaparlament. So war es in einer Parlamentsreform 2018
beschlossen worden, die jetzt erst wirksam wird, weil der britische
EU-Austritt insgesamt drei Mal verschoben wurde.

Damals einigte man sich darauf, mit dem Abschied des großen
Mitgliedsstaats auch das Europaparlament zu verkleinern von heute 751
auf 705 Abgeordnete. Die 46 Mandate werden in einer Reserve geparkt,
bis der EU möglicherweise neue Mitgliedsstaaten beitreten. 27 Mandate
sollen dagegen an jene Länder verteilt werden, die bisher im
Europaparlament im Verhältnis zur Bevölkerung zu wenige Sitze haben.

Deutschland ist davon nicht betroffen, es behält wie bisher 96
Mandate. Frankreich und Spanien sollen nun indes jeweils fünf Sitze
mehr bekommen, Italien und die Niederlande jeweils drei und Irland
zwei. Mehrere weitere Staaten bekommen jeweils einen neuen
Parlamentarier.

Welche neuen Abgeordneten kommen, ist dem EU-Parlament noch nicht in
jedem Fall bekannt. «Wir warten noch auf die Meldung aus einigen
Mitgliedsstaaten», sagte ein Sprecher des Europaparlaments am Montag.
Sollten die Namen nicht alle rechtzeitig genannt werden, bleiben die
Mandate übergangsweise vakant.

Auch die Größe der Fraktionen im EU-Parlament werden sich nach dem
Brexit ändern. Die größte und weiterhin stärkste Parteienfamilie, d
ie
bürgerliche EVP, wird dem Europaparlament zufolge voraussichtlich
fünf neue Abgeordnete hinzu bekommen. Den höchsten Zulauf an
Parlaments-Neuzugängen hat aber die liberale Renew-Gruppe -
voraussichtlich sechs neue Abgeordnete schließen sich demnach der
Fraktion an.

Einige der neuen Abgeordneten haben sich allerdings bereits selbst zu
Wort gemeldet - und zwar ziemlich gefrustet über die lange Wartezeit
wegen des immer wieder verschobenen Brexits. Der sollte ja eigentlich
schon am 29. März 2019 über die Bühne gehen, wurde dann aber auf den

12. April, den 31. Oktober und letztlich auf den 31. Januar vertagt.
Die Nachrücker stehen in einigen Ländern bereits seit der Europawahl
fest und drehen seither Däumchen.

«Das ist aus meiner persönlichen Sicht natürlich frustrierend», sag
te
der designierte irische Abgeordnete Barry Andrews aus Dublin im
Herbst dem irischen Sender RTE. Er habe die vergangenen Monate mit
Redeverpflichtungen und freiwilligem Engagement überbrückt.
Staatliche Gelder oder Diäten standen ihm in der Zeit noch nicht zu.
Nachrückende Abgeordnete hätten keinerlei Anspruch auf Vergütungen,
bevor Sie ihr Amt antreten, erklärt das Europaparlament.

Auch die scheidenden britischen Abgeordneten müssen nach dem Brexit
wohl wieder einen neuen Job suchen. Abgeordnete, die mindestens ein
volles Jahr im Amt waren, haben nach Angaben des EU-Parlaments bei
Ende ihres Mandats aber immerhin Anspruch auf ein Übergangsgeld. Sie
bekommen für jedes Jahr ihres Mandats ein Monatsgehalt.