Von Milliarden und Hebeln: Wie die EU die Klimawende finanzieren will Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

14.01.2020 18:06

Aus relativ wenig Steuergeld ein riesiges Investitionsprogramm zu
machen: Das hat die EU-Kommission schon in den vergangenen Jahren
ausprobiert. Jetzt soll das Modell auch für den «Green Deal»
herhalten. Doch nicht jeder glaubt daran.

Straßburg (dpa) - Es sind gigantische und vielleicht auch ein
bisschen märchenhaft anmutende Summen. Hunderte Milliarden Euro
sollen jährlich investiert werden, um die Europäische Union bis 2050
«klimaneutral» zu machen. Kraftwerke müssen ersetzt, Windräder
errichtet, Häuser gedämmt, Autos erneuert, Busse und Bahnen ausgebaut
werden. Das sind nur wenige Beispiele. In einem historischen Kraftakt
soll für den Klimaschutz binnen 30 Jahren die gesamte europäische
Wirtschaft umgekrempelt werden.

Wer soll das bezahlen? Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen
hat am Dienstag erstmals ein Konzept vorgelegt, wie ihr «Green Deal»
in den nächsten zehn Jahren finanziert und auch sozial abgefedert
werden soll. Denn für Hunderttausende Menschen in klimaschädlichen
Branchen müssen neue Jobs gefunden werden, sonst ist es mit dem
politischen Rückhalt für die Klimawende schnell vorbei. Hat von der
Leyen eine Antwort darauf?

DIE ZAHLEN: EIN ZIEMLICHES WIRRWARR

Die Zahlen zum Investitionsbedarf sind ziemlich unübersichtlich. 2018
sprach die EU-Kommission von 290 Milliarden Euro pro Jahr für das
Ziel der «Klimaneutralität» bis 2050; jetzt nennt sie eine Summe von

260 Milliarden Euro jährlich, auf die aber noch etwas drauf kommen
müsse. Merken kann man sich vielleicht diesen Dreiklang, den
EU-Beamte diese Woche vorstellten: Nötig seien bis 2030 rund drei
Billionen Euro, also 3000 Milliarden Euro; das jetzt vorgestellte
EU-Programm für nachhaltige Investitionen soll eine Billion Euro
umfassen; unter diesem Dach sieht ein «Mechanismus für den gerechten
Wandel» 100 Milliarden Euro für Regionen vor, für die die Klimawende

besonders hart ist, vor allem Kohleregionen.

EINE BILLION UND DIE KRAFT DES HEBELS

Die fast unvorstellbar große Summe aus dem Investitionsprogramm soll
nicht etwa komplett vom Steuerzahler finanziert werden. Sie kommt mit
ebenfalls recht komplizierten Rechenmodellen zustande. Von den
anvisierten 1000 Milliarden Euro sollen nach Angaben von EU-Beamten
rund 500 Milliarden Euro aus dem EU-Gemeinschaftshaushalt kommen,
dann 100 Milliarden Euro ergänzende Gelder von den EU-Staaten, 100
Milliarden für den «gerechten Wandel» und 300 Milliarden, die mit
Hilfe des bestehenden EU-Programms InvestEU von privaten Investoren
aufgebracht werden sollen.

Das EU-Budget soll dafür nicht drastisch in die Höhe schnellen,
vielmehr werden eingeplante Mittel konsequent auf das Ziel des «Green
Deal» ausgerichtet. Sie werden also teilweise neu «verpackt». Zum
Teil soll öffentliches Geld dafür eingesetzt werden, Kredite für
Investoren abzusichern und Risiken abzupuffern. Fachleute sprechen
von einem «Hebel», der mit vergleichsweise wenig Steuergeld große
Investitionssummen mobilisieren soll. Nach dem Prinzip funktionierte
bereits der sogenannte Juncker-Plan, der seit 2014 nach Angaben der
EU-Kommission knapp 460 Milliarden Euro Investitionen angestoßen hat.

KRITIKER HEGEN MASSIVE ZWEIFEL

Nicht nur die Grünen im EU-Parlament nennen das Finanzierungsmodell
jedoch einen «Taschenspielertrick». Auch der Wirtschaftsexperte
Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel sagte der
Deutschen Presse-Agentur: «Die Hebelzahlen halte ich für illusorisch.
Man braucht viel mehr echtes Geld.» Im übrigen sei die Umwidmung von
EU-Haushaltsmitteln auch zum Teil «Windowdressing», also schöner
Schein. Auch Thilo Schaefer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in
Köln äußerte Zweifel, ob das Modell des Juncker-Fonds übertragbar
sei: «Ob das beim Just Transition Mechanismus funktionieren wird, ist
unklar.» Vor allem müsse erstmal ein EU-Haushaltsrahmen für die Jahre

2021 bis 2027 vereinbart werden.

HUNDERT MILLIARDEN FÜR GERECHTEN WANDEL

Besonders wichtig ist der EU-Kommission der «Mechanismus für den
gerechten Wandel», der 100 Milliarden Euro in Regionen schleusen
soll, für die der Umbau besonders hart wird. Das sei «ein
Versprechen, dass die Europäische Union Ihnen bei diesem Übergang zur
Seite steht», sagt EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Nach
EU-Angaben geht es um 108 Regionen in ganz Europa und mehr als
250 000 Beschäftigte vor allem in der Kohlebranche, im Torfabbau und
bei der Gewinnung von Schieferöl.

Werden diese Branchen dicht gemacht, brauchen die Menschen neue
Arbeit oder soziale Unterstützung. Finanziert werden sollen
Umschulungen, aber auch die Ansiedlung neuer Unternehmen oder die
Sanierung alter Firmengelände. Dafür in Frage kommen auch deutsche
Kohlereviere. Allerdings müssten wohlhabende Staaten wie Deutschland
zu möglichen EU-Hilfen wesentlich mehr eigenes Geld zuschießen als
schwächere Länder wie etwa Griechenland. Politisches Ziel des Fonds
ist, bisher eher skeptische Länder wie Polen zu überzeugen, die
Klimawende mitzutragen. Das Land hat mit Sicherheit einen besonders
weiten Weg: Rund 80 Prozent seines Stroms kommen aus der
klimaschädlichen Kohle.