Brexit: EU umwirbt Großbritannien - und zeigt doch klare Kante

11.02.2020 13:19

Großbritannien ist kaum zehn Tage raus aus der EU und schon scheint
der Brexit halb vergessen. Aber die wohl schwierigste Phase kommt
erst noch. Wie eng wird die künftige Partnerschaft?

Straßburg (dpa) - Die Europäische Union drängt Großbritannien nach

dem Brexit zu einer engeren Partnerschaft als von London angekündigt.
«Natürlich kann sich das Vereinigte Königreich mit weniger zufrieden

geben», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Dienstag
im Europaparlament in Straßburg. «Aber ich persönlich glaube, dass
wir sehr viel ehrgeiziger sein sollten.»

Für ein umfassendes Handelsabkommen ohne Zölle und Kontingente
fordert die EU allerdings die Festlegung vergleichbarer Standards und
Regeln, was der britische Premierminister Boris Johnson zuletzt
rundweg abgelehnt hatte. Das EU-Parlament und die EU-Staaten wollen
diese Linie sogar noch nachschärfen, bevor die Verhandlungen mit
Großbritannien Anfang März beginnen. Die Hürden sind deshalb hoch.

Großbritannien hatte die EU am 31. Januar um Mitternacht verlassen.
Bis Ende des Jahres gilt eine Übergangsfrist, in der sich im Alltag
zunächst kaum etwas ändert. In dieser Zeit soll ein
Partnerschaftsabkommen vereinbart und ratifiziert werden. Gelingt
dies nicht, drohen erhebliche Schwierigkeiten bei Handel, Reisen,
Datenaustausch, Verbrechensbekämpfung und vielen anderen Themen.

EU-Unterhändler Michel Barnier bekräftigte in Straßburg die Linie,
dass die EU Zugang zu ihrem Binnenmarkt, zu ihren Daten oder die
Anerkennung von Äquivalenz bei den für Großbritannien wichtigen
Finanzdienstleistungen nur in dem Maße gewähren werde, wie sich
Großbritannien auf gemeinsame Standards einlasse. «Das Vereinigte
Königreich kann den Ehrgeiz festlegen», sagte Barnier.

Das ist ein Knackpunkt für die EU: Sie befürchtet unfaire Konkurrenz,
falls Großbritannien Umwelt-, Sozial- und Beihilferegeln aufweicht
und mit Niedrigsteuern lockt. Und das Europaparlament fordert in
einer Resolution, die am Mittwoch angenommen werden sollte, eher noch
mehr Garantien als die EU-Kommission. «Es ist völlig absurd zu
meinen, es gibt eine Dumping-Insel jenseits des Kanals mit vollem
freien Marktzugang», sagte der SPD-Handelsexperte Bernd Lange.

Johnson hatte Dumping in einer Rede Anfang Februar weit von sich
gewiesen und betont, Großbritannien werde auch künftig hohe Standards
einhalten. Nur wolle man dies nicht vertraglich festlegen. Von der
Leyen widersprach deutlich: «Lassen Sie uns das formal vereinbaren,
dann können wir einen dynamischen Aufwärts-Wettbewerb auslösen, von
dem sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Europäische Union
profitieren.»

Die EU will zwar möglichst wenig Schwierigkeiten für die eigene
Wirtschaft nach Ablauf der Brexit-Übergangsfrist Anfang 2021. Doch
beharrt sie auch darauf, dass ein EU-Austritt Nachteile bringt.
«Tatsache ist, dass das Vereinigte Königreich freiwillig unsere
Staatengemeinschaft verlassen hat und als Drittstaat eben nicht
dieselben Rechte und Vorteile wie ein Mitglied der EU genießen kann»,
sagte der CDU-Brexitexperte David McAllister der Deutschen
Presse-Agentur.

Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan betonte in der Debatte, es
gehe bei den Verhandlungen mit London auch um die Zukunft der EU:
Davon hänge ab, ob andere Mitgliedsstaaten eine Zukunft außerhalb der
EU als Perspektive oder attraktives Entwicklungsmodell sähen. Für die
Verhandlungen müssen die 27 bleibenden EU-Staaten Barnier offiziell
ein Mandat erteilen. Einen Vorschlag der Kommission haben die 27
inzwischen ergänzt und in einigen Punkten nachgeschärft. Er soll am
25. Februar endgültig gebilligt werden.