Zurück aufs Meer: Neue EU-Mission soll Waffenembargo überwachen Von Michel Winde, dpa

17.02.2020 19:04

Noch am Morgen schien diese Einigung unmöglich: Die EU will die
Beschlüsse des Berliner Libyen-Gipfels mit einer neuen Mission
durchsetzen. Inklusive Ausstiegsklausel.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union will mit Schiffen zurück ins
Mittelmeer. Um dem Frieden in Libyen ein Stück näher zu kommen, soll
eine neue EU-Mission künftig den Waffenschmuggel in das
Bürgerkriegsland überwachen - aus der Luft, per Satellit und trotz
großer Bedenken einiger EU-Länder auch auf dem Meer.

Bundesaußenminister Heiko Maas war nach den Gesprächen mit seinen
EU-Amtskollegen am Montag in Brüssel sichtlich erleichtert. Rund vier
Wochen nach dem Berliner Libyen-Gipfel gebe es eine «positive
Grundsatzentscheidung», sagte der SPD-Politiker. «Diese Mission soll
auch eine maritime Komponente haben, die sich an den Routen
derjenigen orientiert, die Waffen nach Libyen bringen, also im
östlichen Mittelmeer.» Die Details sollten noch ausgearbeitet werden.

Die «maritime Komponente» - genau hier waren die Verhandlungen lange
verhakt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte ursprünglich
vorgeschlagen, die Marinemission «Sophia» wiederzubeleben. «Sophia»

sollte ursprünglich Schmuggel und Menschenhandel im Mittelmeer
eindämmen. Nebenher wurden aber immer wieder Migranten aus Seenot
gerettet - dazu verpflichtet das internationale Seerecht. Die
EU-Staaten konnten sich jedoch nicht darauf einigen, wohin mit den
Geretteten. Deshalb lief die Marinemission im März 2019 aus.

Ein «Sophia»-Neustart also? Dagegen sträubte sich vor allem
Österreich, aber auch andere Länder wie Italien und Ungarn hatten
Bedenken. Wien argumentierte offen, dass sich mehr Migranten nach
Europa aufmachen würden, wenn sie davon ausgehen könnten, dass die
«Sophia»-Schiffe sie retteten. Österreichs Außenminister Alexander

Schallenberg sagte noch am Montagmorgen, man könne über alles reden,

«aber nicht vor der libyschen Küste, nicht Sophia-Wiederaufnahme».
Außenpolitische Beschlüsse müssen in der EU einstimmig getroffen
werden.

Den Bedenken Österreichs und anderer trägt der Kompromiss vom Montag
deutlich Rechnung. Die Schiffe sollen nicht im zentralen Mittelmeer,
sondern weiter östlich eingesetzt werden, fernab der Fluchtrouten.
Und sollte doch ein sogenannter Pull-Effekt ausgemacht werden, sollen
die Schiffe aus der entsprechenden Region wieder abgezogen werden.

Nach einer Einigung sah es lange Zeit nicht aus. Noch am Morgen habe
er gedacht, ein Kompromiss sei unmöglich, sagte Borrell. «Aber das
zeigt: Wenn es politischen Willen gibt, ist nichts unmöglich.» Er
hoffe, dass die Mission Ende März einsatzbereit sei.

Neben der Überwachung des Waffenembargos soll die neue Mission -
deren Name noch nicht feststeht - auch organisierte Kriminalität
überwachen, die für Migration verantwortlich ist. Außerdem will die
EU weiter die libysche Küstenwache und Marine ausbilden. Bevor es so
weit ist, muss die neue Mission allerdings von einigen nationalen
Parlamenten gebilligt werden - etwa vom Bundestag, wie Borrell sagte.

Wie die Landgrenzen Libyens, über die ebenfalls viele Waffen ins Land
kommen, überwacht werden sollen, steht Borrell zufolge noch nicht
fest. Darauf wolle man beim nächsten Treffen im März zurückkommen.

Außenminister Maas wertete die Beschlüsse vom Montag als «große
Unterstützung für den Berliner Prozess». Vor gut vier Wochen hatten
sich in Berlin 16 Staaten und Organisationen auf deutsche Initiative
darauf verständigt, die Einmischung von außen in Libyen zu beenden.
Es gehe im Wesentlichen darum, dass die Bürgerkriegsparteien von
ihren Unterstützern getrennt würden und dass es keine weiteren
Waffenlieferungen mehr gebe, sagte Maas. «Das ist das, was wir
brauchen, und das haben wir heute im Grundsatz entschieden.»

Im nordafrikanischen Libyen war 2011 nach Sturz und Tötung des
Machthabers Muammar al-Gaddafi ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die
Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch ist international
anerkannt, hält aber nur kleine Gebiete um die Hauptstadt Tripolis im
Westen des Landes. Gegen ihn kämpft General Chalifa Haftar mit
Verbündeten, die weite Teile des ölreichen Landes beherrschen. Libyen
ist ein wichtiges Transitland für Migranten auf dem Weg nach Europa.

Die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, wertete den
Kompromiss vom Montag als «positives Signal». Die Überwachung des
Waffenembargos sei erforderlich. Um zu einem gefestigten
Waffenstillstand zu kommen, müsse der Nachschub unterbunden werden.
Die Grünen würden das Mandat nun genauestens prüfen. «Klar ist: Ohn
e
die Bereitschaft der Europäer und der Vereinten Nationen, diejenigen
beim Namen zu nennen, die gegen das Waffenembargo verstoßen, würde
ein Mandat ins Leere laufen.»

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt forderte hingegen, dass
die Schiffe dorthin müssten, wo Menschen in Not sind. «Die Schiffe
der Marinemission dürfen nicht das Seenotrettungsgebiet meiden.»

Nach Ansicht der FDP-Europapolitikerin Nicola Beer sind die
Außenminister am Montag hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben.
Sie hätten die «Chance verpasst, sich auf die Option von Sanktionen
zu verständigen, um eine klare Botschaft Richtung Türkei, Russland
oder den Vereinigten Emiraten zu senden».

Die Vereinten Nationen hatten zuletzt beklagt, dass mehrere
Teilnehmerstaaten des Berliner Gipfels mit der Entsendung von
Kämpfern und der Lieferung von Waffen fortfahren. Generalsekretär
António Guterres nannte ausdrücklich die Vereinigten Arabischen
Emirate, Ägypten, Russland und die Türkei.