Coronavirus-Krise: Von der Leyen geißelt Egoismus der EU-Staaten

26.03.2020 13:06

«Die Geschichte schaut auf uns», sagt die EU-Kommissionschefin - und
beklagt ein anfänglich trauriges Bild der Europäischen Union. Jetzt
besser machen - fordert von der Leyen vor dem EU-Videogipfel.

Brüssel (dpa) - Vor dem Videogipfel der EU-Staats- und
Regierungschefs hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen die
Alleingänge der EU-Länder in der Corona-Krise scharf kritisiert. Zu
viele der 27 Mitglieder hätten zunächst nur an sich selbst gedacht,
monierte von der Leyen am Donnerstag im Europaparlament. Am
Nachmittag (16.00 Uhr) wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und
ihre EU-Kollegen erneut versuchen, ihre Maßnahmen gegen die Krise
abzustimmen.

Dabei geht es auch um zusätzliche Hilfen gegen den
Konjunktureinbruch. Zur Debatte stehen Kreditlinien des
Eurorettungsschirms ESM für die Länder der Eurozone, nach Angaben von
Diplomaten aber nicht die gemeinsame Aufnahme von Schulden,
sogenannte Euro- oder Corona-Bonds. Nach dem Entwurf der
Gipfelerklärung sollen zudem die Probleme für den Warenverkehr an den
teils geschlossenen Grenzen behoben, gemeinsame Beschaffung von
Schutzausrüstung vorangetrieben und Forschung an Mitteln gegen
Covid-19 verstärkt gefördert werden.

Der Entwurf hält zudem fest, dass der zunächst für 30 Tage verhängt
e
Einreisestopp für Nicht-EU-Bürger verlängert werden kann. Das werde
zu gegebener Zeit entschieden, heißt es. Zugleich wollen die Staats-
und Regierungschefs die Kommission bitten, mit der Arbeit an einer
Exit-Strategie zur Normalisierung der Situation zu beginnen. Nötig
würden ein koordiniertes Vorgehen, ein umfassender Plan zur Erholung
der Wirtschaft und beispiellose Investitionen.

Von der Leyen geißelte in ihrer Rede den nationalen Egoismus in der
EU zu Beginn der Krise. «Als Europa wirklich füreinander da sein
musste, haben zu viele zunächst nur an sich selbst gedacht», sagte
die Kommissionspräsidentin. «Und als Europa wirklich beweisen musste,
dass wir keine «Schönwetterunion» sind, weigerten sich zu viele
zunächst, ihren Schirm zu teilen.»

Inzwischen habe sich der Trend umgekehrt und die Staaten hätten
begonnen, einander zu helfen. «Europa ist wieder da», sagte von der
Leyen. «Aber die Menschen in Europa verfolgen, was als Nächstes
passiert. Und wir alle wissen, was auf dem Spiel steht.» Die
Europäische Union stehe an einer Weggabel. Es gehe auch um die Frage,
ob das Virus die Gemeinschaft endgültig in Arm und Reich spalte und
ob Europa ein ernstzunehmender Akteur in der Welt bleibe. «Die
Geschichte schaut auf uns», sagte sie. «Lassen Sie uns gemeinsam das
Richtige tun, mit einem großen Herzen, nicht mit 27 kleinen.»

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) betonte ebenfalls,
die Staats- und Regierungschefs müssten beweisen, dass Europa
handlungsfähig sei. Konkret forderte der BDI, den Weg für Kredite des
Eurorettungsschirms ESM und der Europäischen Investitionsbank EIB
schnellstmöglich freizumachen. Die EIB hatte vorgeschlagen, weitere
Kredite im Umfang von 40 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen.

Am Mittwoch hatten auch neun EU-Länder unter Führung Frankreichs in
einem Brief an EU-Ratschef Charles Michel mehr gemeinsames Handeln
verlangt. Sie bezogen das nicht nur auf die Eindämmung des Virus und
das Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarkts mit für Waren und
Pendler offenen Grenzen. Sie forderten als solidarische Maßnahme
gegen die Wirtschaftskrise auch die Aufnahme gemeinsamer Schulden.
Deutschland und andere Länder sind strikt gegen solche Corona-Bonds.

Die Sitzung des Europaparlaments war eine Premiere: Im Plenum in
Brüssel waren fast keine Abgeordneten, die meisten der 705
Mandatsträger verfolgten die Beratung online und konnten per Email
abstimmen. Von der Leyen hielt ihre Rede vor nahezu leeren Rängen.
Dennoch kam es zu einer Debatte der Abgeordneten vor Ort.
Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grünen und Linken verlangten
ebenfalls mehr Solidarität in Europa. Die parlamentarische Rechte
warnte davor, Brüssel in der Krise mehr Macht zu übertragen.