EuGH zu Polens Justizreform: Aus formellen Gründen nicht zuständig

26.03.2020 15:01

Reform um Reform baut die PiS-Regierung in Warschau das polnische
Justizsystem um. Die EU-Kommission warnte jüngst vor einer
«Zerstörung» des Justizwesens. Der EuGH legt sich in einem konkreten

Fall nicht fest.

Luxemburg (dpa) - Im Streit um die Justizreform in Polen haben
polnische Richter vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen
Rückschlag erlitten. Aus formellen Gründen wollten die Luxemburger
Richter am Donnerstag nicht über die polnischen Disziplinarverfahren
entscheiden. In einem Punkt stärkten sie den polnischen Richtern
dennoch den Rücken (Rechtssachen C-558/18 und C-563/18). Die
Regierung in Warschau sieht sich aber in ihrer Haltung gestärkt.

Ungeachtet der internationalen Kritik baut die nationalkonservative
PiS-Regierung das Justizwesen Polens seit Jahren um und setzt Richter
damit unter Druck. Die Reformen landeten schon mehrfach vor dem
Europäischen Gerichtshof. Hintergrund des aktuellen Verfahrens sind
die 2017 eingeführten Regelungen für Disziplinarverfahren gegen
Richter. In zwei Gerichtsverfahren äußerten polnische Gerichte die
Sorge, ihre Urteile könnten zu einem Disziplinarverfahren gegen den
jeweiligen Richter führen.

Sie verwiesen darauf, dass der Justizminister sich über die Reform
Einfluss auf die Einleitung und Durchführung der Verfahren verschafft
habe. So könne die Disziplinargerichtsbarkeit zu einem Werkzeug
werden, um missliebige Personen zu entfernen. Zudem könnten sich
Richter zu vorauseilendem Gehorsam gedrängt fühlen.

Der Gerichtshof befand die Ersuchen beider Gerichte nun aus formellen
Gründen für ungültig und urteilte deshalb nicht über die
Rechtmäßigkeit der Reform. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem
EU-Recht, auf das sich die Gerichte bezögen, und den Verfahren, die
sie verhandelten. Deshalb sei die Auslegung des europäischen Rechts
für die jeweiligen Urteile nicht nötig. Ungewöhnlich ist, dass der
EuGH dennoch betonte, nationalen Richtern dürften keine
Disziplinarverfahren drohen, weil sie den EuGH angerufen hätten.

Dieser Punkt sei der entscheidende, hieß es in einem Statement der
regierungskritischen polnischen Richterorganisation «Iustitia». Denn
die Disziplinarbeauftragten hätten bereits versucht, entsprechende
Aktionen einzuleiten. «Der EuGH hat hervorgehoben, dass die Richter
in solchen Fällen vor Repressionen geschützt sein müssen.»

Polens Vize-Justizminister Marcin Warhol sagte, die Zurückweisung der
Sache durch den EuGH entlarve die wahre Absicht derjenigen Richter,
die sich an den Gerichtshof gewandt hatten. «Diese Entscheidung ist
Zeugnis für die Kompromittierung und die politischen Motive, von
denen sich die Richter bei der Einreichung ihrer Fragen leiten
ließen. Es zeigt auch, dass sie wenig über EU-Recht und die
Rechtsprechung des EuGH wissen.»

Die Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD) betonte am Donnerstag,
dass dieses Urteil keinesfalls als Zustimmung für den Kurs der PiS zu
werten sei. Das Gericht habe lediglich geurteilt, dass es nicht
zuständig sei. «Wichtig ist, dass der EuGH klargestellt hat, dass
keiner Richterin und keinem Richter eine Strafe drohen darf, weil er
den Europäischen Gerichtshof anruft.» Genau das wolle die
PiS-Regierung mit ihrem jüngsten Gesetz vom Jahresbeginn bestrafen.

Christian Wigand, Sprecher der EU-Kommission sagte, man nehme das
Urteil zur Kenntnis. Er betonte, dass die Entscheidung keinen
Einfluss auf ein derzeit laufendes Verfahren vor dem EuGH habe, das
die Brüsseler Behörde im Oktober 2019 mit ihrer Klage angestoßen hat.

Dabei geht es um die neuen Regeln für Disziplinarmaßnahmen, die aus
Sicht der Kommission die Unabhängigkeit der Richter untergräbt. Von
der Richtervereinigung «Iustitia» hieß es dazu, dieses Verfahren sei

das letztlich entscheidende.

In der Vergangenheit ist der EuGH schon mehrfach wegen der polnischen
Reformen eingeschritten. 2019 entschied das Gericht etwa, die
Zwangspensionierung polnischer Richter am Obersten Gericht und an
ordentlichen Gerichten verstoße gegen EU-Recht.

Ein weiteres Gesetz zur Disziplinierung von Richtern, das der
polnische Präsident Andrzej Duda Anfang Februar unterschrieb, steht
heftig in der Kritik. Hier könnte die EU-Kommission in Kürze aktiv
werden. Die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova warnte im Februar
vor der «Zerstörung» des polnischen Justizwesens. Und schon 2017
leitete die EU-Kommission ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7
der EU-Verträge gegen Polen ein. Damit können einem Staat bei
Verstößen gegen EU-Grundrechte die Stimmrechte im Ministerrat
entzogen werden. Das Verfahren stockt jedoch.