Paris und Berlin wollen europäische Schulden für den Wiederaufbau

18.05.2020 20:25

Die Corona-Krise verändert vieles - sogar deutsche Vorbehalte gegen
eine gemeinsame Verschuldung der EU-Staaten. Gemeinsam mit
Frankreichs Präsident Macron präsentiert Merkel Vorschläge, die vor
Monaten noch undenkbar gewesen wären.

Berlin/Paris (dpa) - Für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise will
Deutschland erstmals eine massive europäische Schuldenaufnahme über
den EU-Haushalt akzeptieren. Gemeinsam mit dem französischen
Präsidenten Emmanuel Macron schlug Bundeskanzlerin Angela Merkel am
Montag ein Programm zur wirtschaftlichen Erholung im Umfang von 500
Milliarden Euro vor. Dies könnte vor allem von der Pandemie stark
betroffenen Staaten wie Italien und Spanien Luft verschaffen. Der
Plan muss allerdings von allen 27 EU-Staaten einstimmig beschlossen
werden. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach sich jedoch noch am
Abend gegen Zuschüsse für Krisenstaaten aus.

Merkel warb vehement für das Programm: «Ziel ist, dass Europa
gestärkt, zusammenhaltend und solidarisch aus dieser Krise kommt.» Da
das Coronavirus sich in den europäischen Ländern unterschiedlich
stark auswirke, sei der Zusammenhalt in der Union gefährdet. Die
Kanzlerin sagte, es sei eine «außergewöhnliche, einmalige
Kraftanstrengung», zu der Deutschland und Frankreich bereit seien.

Die Milliardensumme soll demnach im Namen der EU am Kapitalmarkt
aufgenommen werden und im Rahmen des mehrjährigen EU-Finanzrahmens
als Hilfen an Krisenstaaten gehen. Die Hilfen sollten nicht von jenen
zurückgezahlt werden, die sie erhielten, sagte Macron. Geplant ist
vielmehr, dass die auf EU-Ebene aufgenommenen Schulden über einen
Zeitraum von etwa 20 Jahren aus dem EU-Haushalt abgestottert werden.
Deutschland ist hier der größte Netto-Beitragszahler.

Die EU-Kommission begrüßte die Initiative. Die italienische Regierung
bewertet den Plan als Schritt in die richtige Richtung. Es gebe aber
noch Verbesserungspotenzial, hieß es in Regierungskrisen in Rom. Mit
der Summe von 500 Milliarden Euro «können wir beginnen, den Recovery
Fonds (Wiederaufbau-Fonds) im Rahmen des europäischen Haushalts noch
substanzieller zu gestalten», zitierte die Nachrichtenagentur Ansa
die Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte.

Österreichs Kanzler Kurz will an seiner Position festhalten, dass von
der EU rückzahlbare Kredite und keine Zuschüsse an Krisenstaaten
vergeben werden sollten. «Wir werden uns weiterhin solidarisch zeigen
und Länder, die am stärksten von der Coronakrise betroffen sind,
unterstützen, jedoch muss dies über Kredite erfolgen und nicht über
Zuschüsse», hieß es auf Anfrage der Nachrichtenagentur APA aus dem
Bundeskanzleramt. «Unsere Position bleibt unverändert», schrieb
der konservative Politiker auch im Kurznachrichtendienst Twitter.

Mit der deutsch-französischen Einigung könnte dennoch der Plan ein
gutes Stück vorankommen, der nach der dramatischen Pandemiekrise der
europäischen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen soll. «Das ist
eine bedeutende Etappe», sagte Macron. Ein erstes Paket mit
Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro war von den EU-Staaten
bereits Anfang April vereinbart worden. Nun geht es um längerfristige
Unterstützung beim Wiederaufbau.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) wertete den deutsch-französischen
Vorschlag als «starkes und überzeugendes Signal europäischer
Solidarität».

Die 27 EU-Staaten hatten nach heftigem Streit über
Gemeinschaftsanleihen - sogenannten Corona-Bonds - im April
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen damit beauftragt, ein
konsensfähiges Modell für den Wiederaufbauplan zu erarbeiten. Der
Vorschlag soll nächste Woche vorliegen.

«Dies geht in die Richtung des Vorschlags, an dem die Kommission
arbeitet», erklärte von der Leyen zum deutsch-französischen Vorstoß
.
Der Kommissionsvorschlag werde die Ansichten aller EU-Staaten und des
Europaparlaments berücksichtigen. EU-Ratspräsident Charles Michel
sprach von einem Schritt in die richtige Richtung und forderte
Kompromisswillen von allen 27 EU-Staaten.

Nötig für den deutsch-französischen Plan wäre wahrscheinlich die
Erhöhung der sogenannten Eigenmittelobergrenze im EU-Haushaltsrahmen
für zwei bis drei Jahre. Praktisch sind dies weitere Zusagen der
EU-Staaten für den EU-Haushalt. Diese werden aber nicht sofort als
Einzahlung fällig; vielmehr werden sie als Garantien benutzt, um am
Kapitalmarkt Geld aufzunehmen und so den EU-Haushalt für begrenzte
Zeit drastisch aufzustocken.

Deutschland hatte lange Vorbehalte dagegen, solche per Kredit
aufgenommenen Gelder als Zuwendungen an Krisenstaaten auszuzahlen.
Denn so müssten die europäischen Schulden nicht vom Empfängerstaat,
sondern gemeinsam zurückgezahlt werden, voraussichtlich aus dem
EU-Haushalt oder eigenen EU-Einnahmen. In der Frage hat sich die
Bundesregierung nun bewegt.

Frankreich hat seinerseits Zugeständnisse gemacht und akzeptiert,
dass die Mittel über den EU-Haushalt verteilt werden. Das gemeinsame
Konzept bedeutet stattdessen, dass die üblichen EU-Haushaltsregeln
gelten, nur Projekte finanziert werden und nicht etwa der
Staatshaushalt einzelner Mitgliedsstaaten. Der Unterschied zu
Corona-Bonds ist auch, dass die gemeinsame Haftung für die Schulden
begrenzt ist auf den Umfang der Garantien im Haushalt.

Ob bereits alle EU-Staaten sich mit dem Vorschlag anfreunden können,
ist fraglich. Ende letzter Woche hieß es aus der EU-Kommission, es
sei noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten. Der Plan muss von
allen 27 Staaten einstimmig beschlossen werden, weil er mit dem
siebenjährigen EU-Haushaltsrahmen verknüpft ist. Die Erhöhung der
Eigenmittelobergrenze muss zudem in allen 27 Staaten ratifiziert
werden, in Deutschland vom Bundestag. «Eine Einigung zwischen
Deutschland und Frankreich heißt nicht, dass es eine Einigung
zwischen allen 27 gibt», sagte Macron. Es könne aber keine Einigung
geben, wenn es kein deutsch-französisches Einvernehmen gebe.