Mentholzigaretten: Das Aus für Helmut Schmidts geliebten Glimmstängel Von Michel Winde und Martin Fischer, dpa

19.05.2020 05:00

Der Ex-Kanzler war leidenschaftlicher Reyno-Raucher. Ab Mittwoch
dürfen Mentholzigaretten in der EU nicht mehr verkauft werden. Doch
die Geschmacksrichtung soll es laut Industrie künftig weiter geben.

Brüssel/Hamburg (dpa) - Niemand steht so für die Mentholzigarette wie
Helmut Schmidt. Schon 2013, ein Jahr bevor in der EU das Verbot der
Mentholzigaretten beschlossen wurde, verbreitete der damalige
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Legende, dass der Altkanzler
200 Stangen seiner Stammmarke Reyno im Keller seines Hauses in
Hamburg gehortet habe - aus Angst, seine geliebten Glimmstängel bald
nicht mehr zu bekommen.

Ohne Mentholzigaretten war Deutschlands wohl berühmtester Raucher bis
zu seinem Tod 2015 nie zu sehen. Zwei Schachteln pro Tag rauchte er
im Schnitt - auch an Orten, an denen es nicht erlaubt war. Noch lange
nach seinem Tod wurden immer wieder Reyno-Schachteln auf seinem Grab
gefunden.

Ab Mittwoch (20.5.) haben Raucher mit Vorliebe für Mentholzigaretten
und ohne Vorrat ein Problem: Dann tritt in der EU endgültig ein
Verkaufsverbot für ausnahmslos alle Zigaretten und Drehtabak mit
charakteristischen Aromen in Kraft. Es ist das Ende einer
vierjährigen Übergangsphase für Produkte mit einem höheren
Marktanteil als drei Prozent. In Deutschland betrifft das laut einer
Studie von 2016 immerhin 2,1 Prozent der Raucher, wie aus einer
Studie in der Fachzeitschrift «TID» («Tobacco Induced Diseases»)
hervorgeht. In anderen EU-Staaten wie Polen ist die Quote deutlich
höher.

Die Geschichte von Schmidts Zigarettenvorrat bewahrheitete sich
letztlich doch nicht. «Entsprechend dem berühmten Schmidt-Zitat
«Willen braucht man - und Zigaretten» haben wir in der Tat im Haus im
Neubergerweg zwar einen reichhaltigen Fundus an Zigaretten und
Schnupftabak-Dosen gefunden», sagt Ulfert Kaphengst von der
Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, die den Privatbesitz von
Helmut und Loki Schmidt inventarisiert. «Allein die «200 Stangen im
Keller» suchen wir noch vergeblich.»

Nun geht es den Mentholkippen also an den Kragen. Besiegelt wurde ihr
Ende allerdings schon vor sechs Jahren als die EU-Tabakrichtlinie
nach mühsamen Verhandlungen verabschiedet wurde. 2016 traten die
Regeln dann in Kraft. Seitdem müssen auch zwei Drittel der Vorder-
und Rückseite von Zigarettenschachteln und Drehtabakverpackungen für
Schockbilder und aufklärende Warnhinweise reserviert sein. Ziel der
Regeln ist, die Raucherquote von Jugendlichen zu senken und «Fälle
der vorzeitigen Sterblichkeit» zu reduzieren.

Aber was ist so schlimm an Menthol-Zigaretten? «Das größte Problem an

dem Menthol ist, dass es eine kühlende und schmerzlindernde, leicht
betäubende Wirkung hat», sagt Katrin Schaller von der Stabsstelle
Krebsprävention des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in
Heidelberg. Dies führe dazu, dass der normalerweise kratzige Rauch
leichter zu inhalieren sei. Das mache Mentholzigaretten vor allem für
Rauch-Neulinge attraktiv.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben
weltweit jährlich acht Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen von
Zigarettenkonsum. Aus gesundheitspolitischer Sicht sei das EU-Verbot
also zu begrüßen, sagt Schaller.

Jan Mücke spricht hingegen von einer «bedauernswerten Entscheidung»
und einer «willkürlichen Regulierung» auf EU-Ebene. Er selbst sei
Mentholraucher und habe unterm Schreibtisch einen Vorrat angelegt,
sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Tabakwirtschaft
und neuartiger Erzeugnisse. Die Begründung für das Verbot überzeugt
ihn nicht. Die Quote rauchender Kinder und Jugendlicher gehe
schließlich seit Jahren zurück - trotz Mentholzigaretten.

Tatsächlich ist die Raucherquote der 12- bis 17-Jährigen laut
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung seit 2001 von 27,5 auf
6,6 Prozent 2018 gesunken. Der Anteil jugendlicher Nichtraucher war
nie größer. Auch das Argument, das Menthol erleichtere das Inhalieren
des Rauchs, hält Mücke nicht für hinreichend belegt. Kinder- und
Jugendschutz habe für seine Branche absolute Priorität, betont er.

Das Verbot von Mentholzigaretten bedeutet aber nicht, dass Raucher
künftig auf Zigaretten mit Menthol-Geschmack verzichten müssen. So
weist ein Händler auf seiner Internetseite darauf hin, dass diverse
Hersteller mit Nachfolgeprodukten in den Startlöchern stünden. Das
deutsche Unternehmen Reemtsma etwa setzt seit April auf Aromakarten.
Diese müssen einem Sprecher zufolge mindestens eine Stunde in die
Zigarettenschachtel gesteckt werden, um ihr Aroma abzugeben. Reemtsma
nimmt am Mittwoch vier Zigarettensorten aus dem Sortiment. Einen
gestiegenen Absatz der Mentholzigaretten habe das Unternehmen zuletzt
nicht gespürt, sagt der Sprecher.