Europa soll grüner werden: Mehr Artenschutz und gesunde Lebensmittel Von Michel Winde und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

20.05.2020 15:46

Eine grüne Revolution für gesünderes Essen und sichere Lebensräume

für Bienen, Vögel und andere Tiere im dicht besiedelten Europa: Die
EU-Kommission hat weitreichende Pläne für die nächsten zehn Jahre.
Doch es gibt heftigen Widerstand.

Brüssel (dpa) - Mit Plänen für gesündere Lebensmittel und umfassend
en
Naturschutz hat die EU-Kommission heftigen Protest von Bauern
ausgelöst. Von einem «Generalangriff auf die gesamte europäische
Landwirtschaft» sprach der Präsident des Deutschen und Europäischen
Bauernverbandes, Joachim Rukwied, am Mittwoch.

Die EU-Kommission präsentierte ihre Strategien für eine nachhaltigere
Ernährung und mehr Artenschutz in der Europäischen Union jedoch
selbstbewusst. «Das ist die konkrete Übersetzung dessen, was wir mit
dem «Green Deal» angekündigt haben», sagte Vizepräsident Frans
Timmermans.

Der «Green Deal» ist ein Kernvorhaben der EU-Kommission unter Ursula
von der Leyen - stand zuletzt aber im Schatten der Corona-Krise. Die
EU soll bis 2050 «klimaneutral» werden, es sollen also keine neuen
Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Was nicht eingespart
werden kann, muss gespeichert werden. Die Landwirtschaft trägt vor
allem in der Viehzucht erhebliche Mengen Klimagase bei. Andererseits
kann Aufforstung große Mengen Kohlendioxid binden.

In ihrer «Vom-Hof-auf-den-Teller»-Strategie nimmt die EU-Kommission
nun die gesamte Produktionskette von Lebensmitteln in den Blick. Die
EU solle weltweit zum Vorbild für gesunde, umweltschonende und
wirtschaftlich verträglich Ernährung werden. Die Pläne sehen unter
anderem vor, dass der Einsatz gefährlicher oder schädlicher
Pflanzenschutzmittel innerhalb von zehn Jahren halbiert wird.

Außerdem sollen bis 2030 mindestens 20 Prozent weniger Dünger benutzt
und der Verkauf antimikrobieller Mittel wie Antibiotika etwa für
Nutztiere um 50 Prozent reduziert werden. Um digitale Innovation in
der Landwirtschaft voranzutreiben, soll bis 2025 in allen ländlichen
Gebieten schnelles Internet verfügbar sein.

Unmittelbare Auswirkung auf das Verhalten von Verbrauchern soll ein
verpflichtendes Nährwertlogo auf der Vorderseite von Lebensmitteln
haben. Es gehe nicht darum, den Menschen vorzuschreiben, was sie
kaufen, sagte Timmermans. Aber sie sollten ihre Entscheidung besser
informiert treffen. Die Behörde werde dazu einen Gesetzesvorschlag
machen.

Deutschland will noch in diesem Jahr ein Logo für Fertigprodukte
einführen - allerdings auf freiwilliger Basis der Hersteller. Bei dem
System handelt es sich um den aus Frankreich stammenden Nutri-Score.
Dieser bezieht neben Zucker, Fett und Salz auch empfehlenswerte
Bestandteile wie Ballaststoffe in die Bewertung ein und gibt einen
Wert auf einer fünfstufigen Skala an.

Damit in der EU künftig weniger Lebensmittel im Müll landen, will die
EU-Kommission bis 2023 Gesetzesvorschläge vorlegen. So sollen die
Lebensmittelabfälle im Einzelhandel und von Verbrauchern in Einklang
mit bestehenden UN-Zielen bis 2030 halbiert werden.

Die Strategie für mehr Artenvielfalt soll Bienen, Vögel und andere
Tiere vor dem Aussterben bewahren. Dafür sollen 30 Prozent der Land-
und Meeresfläche in Europa bis 2030 unter Schutz gestellt werden.
Derzeit sind es im Rahmen des europäischen Netzwerks Natura 2000 rund
18 Prozent. Solche Flächen dürfen zwar genutzt werden, aber mit
Beschränkungen. Ein Drittel der geschützten Fläche soll besonders
geschützt und quasi naturbelassen werden.

Weiteres Ziel der Biodiversitätsstrategie 2030 sind verbindliche
Regeln zum Erhalt und zur Wiederherstellung geschädigter natürlicher
Flächen. Mindestens 25 000 Kilometer Flüsse sollen renaturiert
werden. Zudem sollen bis 2030 drei Milliarden Bäume gepflanzt werden.
Landwirte sollen künftig auf mindestens 25 Prozent der Ackerfläche in
Europa Ökolandbau betreiben. Die nötigen Investitionen zur Umsetzung
der Strategie beziffert die Kommission auf jährlich 20 Milliarden
Euro.

Rukwied vom Bauernverband machte klar, dass er von den Plänen nichts
hält: «Wir wollen den Weg hin zu einer umweltfreundlichen
Landwirtschaft weitergehen und weiterentwickeln. Aber dieser
Vorschlag ist der falsche Weg.» Anstelle neuer Auflagen müsse auf
mehr Kooperation gesetzt werden.

Der europäische Verbraucherschutzverband Beuc begrüßte die Vorhaben
hingegen. Generaldirektorin Monique Goyens sprach von einem
Meilenstein auf dem Weg zu nachhaltiger Lebensmittelproduktion.
Insbesondere ein verpflichtendes Nährwertlogo auf Lebensmitteln
befürworten die Verbraucherschützer.

Greenpeace kritisierte die «Vom-Hof-auf-den-Teller»-Strategie als
nicht weitreichend genug. «Die EU-Kommission hat heute die Chance
vertan, das Ende der Massentierhaltung einzuleiten», sagte Christiane
Huxdorff. Ohne verbindliche Maßnahmen für weniger Fleischkonsum
könnte die Klimaziele nicht erreicht werden. Das Climate Action
Network sprach dennoch von einem «wichtigen Schritt nach vorne».

Der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling sagte: «Der Schritt der

EU-Kommission hin zu weniger Pestiziden auf den Feldern ist richtig,
aber Hochrisikopestizide müssen komplett aus dem Verkehr gezogen
werden.» Norbert Lins von der CDU beklagte hingegen, dass die
Kommission die Verantwortung hauptsächlich den Landwirten übertrage.