Orban wirft Finanzinvestor Soros Pläne für «Zinsknechtschaft» vor

22.05.2020 14:18

Ungarns starker Mann wittert Verschwörungen. Mal soll die Migration
dazu dienen, Europa zu «überfremden», mal dazu, die betroffenen
Länder in die Staatsverschuldung zu treiben. Angebliches Hirn hinter
den dunklen Umtrieben soll ein 89-Jähriger mit ungarisch-jüdischen
Wurzeln sein.

Budapest (dpa) - Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat
den EU-Institutionen und dem amerikanischen Finanzinvestor George
Soros vorgeworfen, durch das Schüren von Migrationskrisen die
europäischen Staaten in die Verschuldung zwingen zu wollen. Die
«Brüsseler Bürokraten» würden «in der Tasche eines Menschen nam
ens
George Soros sitzen», erklärte der rechtsnationale Politiker am
Freitag im staatlichen Rundfunk. Brüssel und Soros hätten ein
gemeinsames Interesse an Migrationskrisen, um von deren finanziellen
Kosten für die betroffenen Staaten zu profitieren.

Orban bezog sich dabei auch auf ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH). Die Richter hatten am 14. Mai festgestellt, dass
das längere Festhalten von Asylbewerbern in zwei ungarischen
Transitlagern an der Grenze zu Serbien nicht rechtens ist. Ungarn
hatte in der Nacht zum Donnerstag die beiden Lager ohne
Vorankündigung geschlossen und die Bewohner in zumeist offene
Aufnahmezentren im Landesinneren gebracht. 

In dem Rundfunkinterview bezeichnete Orban die Entscheidung des EuGH
als ein «gefährliches Urteil». Da Griechenland nicht dazu imstande
sei, schütze Ungarn die Grenzen der EU. In der Folge werde Ungarn
Asylanträge nur noch in ungarischen Vertretungen im Ausland annehmen,
führte Orban weiter aus. Aber auch daran würden die «Brüsseler
Bürokraten» früher oder später herumkritteln. Tatsächlich verlang
te
der EuGH nicht vorrangig die Schließung der Transitlager, sondern
einen fairen Zugang zum Asylverfahren. Dessen Beschränkung auf
Auslandsvertretungen gewährleiste einen solchen nicht, meinen
Menschenrechtler.

Von der Schelte des EuGH-Urteils spannte Orban den Bogen zum Wirken
der EU und ihrer Institutionen im allgemeinen. Den «Brüsseler
Bürokraten» unterstellte er, von Soros gelenkt zu werden. «Sie
brauchen eine Migrationskrise», behauptete er. «Wenn es eine
Migrationskrise gibt, bekommen die Regierungen Probleme (...), und
sie brauchen Kredite. Das Geld haben aber jene. Sie möchten Kredite
vergeben, möglichst zu ordentlichen Zinsen, weil sie das lieben.»
Beweise für seine Anschuldigungen legte er keine vor. 

Soros (89) stammt aus Ungarn und überlebte als Teenager jüdischer
Herkunft den Holocaust in seiner damaligen Heimat. Als Finanzinvestor
machte er später in den USA ein Vermögen. Er unterstützt weltweit
humanitäre Initiativen, darunter auch Organisationen, die sich für
Menschenrechte und eine offene Gesellschaft einsetzen.

Das Bild vom reichen Juden, der Geld verleiht und Mitbürger oder auch
ganze Staaten in die «Zinsknechtschaft» führt, ist ein altes
antisemitischen Stereotyp. In der Vergangenheit verbreitete Orban
immer wieder auch eine andere Verschwörungstheorie: Demnach hätten
Soros und sein «Netzwerk» die Flüchtlingswanderungen von 2015
ausgelöst, um Europa mit muslimischen Migranten zu überschwemmen, um
auf diese Weise die christliche und nationale Identität der
europäischen Völker auszulöschen.