Die «Sparsamen Vier» attackieren Merkel und Macron Von Fabian Nitschmann und Ansgar Haase, dpa

24.05.2020 14:15

Eine Schuldenunion durch die Hintertür? Länder wie Österreich und die

Niederlande gehen beim Thema Wiederaufbau nach der Corona-Krise auf
Konfrontationskurs zu Deutschland und Frankreich. Nun ist
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Zug.

Brüssel/Wien (dpa) - In der EU bahnt sich ein heftiger Streit über
die geplanten Wiederaufbauhilfen nach der Corona-Krise an.
Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande legten am
Wochenende einen Gegenentwurf zu dem 500-Milliarden-Euro-Konzept der
Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten
Emmanuel Macron vor. Er sieht statt nicht zurückzahlbarer Zuschüsse
lediglich die Vergabe günstiger Kredite vor.

Man wolle keine «Schuldenunion durch die Hintertür», sagte
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP am
Samstag im Deutschlandfunk. Wichtig sei es deswegen auch, die über
den Notfallfonds geleistete Unterstützung zeitlich zu befristen. Im
Konzept der Länder, die sich als die «Sparsamen Vier» bezeichnen, ist

von zwei Jahren die Rede.

Die schwierige Aufgabe, einen Kompromissvorschlag zu machen, liegt
nun bei der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie will
mit ihrer Behörde am Mittwoch einen neuen Entwurf für die EU-Finanzen
von 2021 bis Ende 2027 vorlegen, der auch einen Wiederaufbauplan für
die von der Corona-Pandemie schwer gebeutelte Wirtschaft umfassen
soll.

Angesichts der weit auseinanderliegenden Positionen der
Mitgliedstaaten dürfte es allerdings kaum möglich sein, ein
konsensfähiges Konzept zu präsentieren. Von der Leyen hatte zuletzt
klare Unterstützung für das deutsch-französische Modell erkennen
lassen, sieht nun aber klar und deutlich, dass es womöglich nicht
umsetzbar sein wird.

Alle wichtigen Haushaltsentscheidungen können in der EU nur
einstimmig getroffen werden. Denkbar ist, dass die Staats- und
Regierungschefs deswegen bei einem Gipfeltreffen persönlich um einen
Kompromiss ringen müssen.

Als Hintergrund der Position der «Sparsamen Vier» gilt, dass sie im
Verhältnis zu Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl zur Gruppe der
größten Nettozahler der EU zählen. So lagen die Dänen 2018 bei den

Pro-Kopf-Ausgaben für die EU sogar noch vor den Deutschen. Direkt
danach folgten Österreicher, Schweden und Niederländer.

«Wir wollen helfen, wir wollen solidarisch sein, aber wir sind auch
den Menschen in unserem Land verpflichtet», sagte der österreichische
Bundeskanzler. Es gelte daher, die von den Südländern und auch
Frankreich gewollte Vergemeinschaftung von Schulden zu verhindern.

Die Bundesregierung hatte diese Position bis vor kurzem auch noch
vertreten, gab nun aber in der Corona-Krise dem Druck aus dem Süden
nach. Als ein Grund für den Kurswechsel gilt die Sorge davor, dass
Länder wie Italien unter einer weiter stark steigenden Schuldenlast
zusammenbrechen könnten.

Zeichen für das bereits bestehende Ungleichgewicht in der Union sind
die nationalen Wirtschaftshilfen in der Corona-Krise. Deutschland
kann es sich leisten, so viel Unterstützung zu leisten wie alle
anderen EU-Staaten zusammen - obwohl der Anteil an der
Wirtschaftsleistung deutlich geringer ist.

Eine der wenigen großen Parallelen zwischen den zwei Vorschlägen für

einen Wiederaufbaufonds ist, dass das benötigte Geld von der
EU-Kommission am Kapitalmarkt aufgenommen werden soll. Merkel und
Macron schlugen Mitte Mai einen Betrag von rund 500 Milliarden Euro
vor. Die Gruppe der «Sparsamen Vier» nannte am Wochenende zunächst
keine Größenordnung.

In Ländern wie Italien sorgte das Positionspapier von Österreich und
Co erwartungsgemäß für Empörung. Die schwere Rezession verlange
«ambitionierte und innovative Vorschläge», denn der Binnenmarkt mit
seinen Vorteilen für alle Europäer sei in Gefahr, erklärte
Europaminister Enzo Amendola auf Twitter. Das Papier sei defensiv und
unangemessen.

Aus Deutschland gab es dagegen gemischte Reaktionen. Während
Unionspolitiker wie die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den
Vorschlag von Merkel und Macron verteidigten, schlug der
FDP-Fraktionsvize im Bundestag vor, den Vorschlag der vier Länder zur
«Basis für den Wiederaufbauplan nach der Corona-Krise» zu machen.
«Während Merkel und Macron den Weg für eine dauerhafte
Neuverschuldung freimachen wollen, bestärken die vier Staaten
geltendes europäisches Recht», sagte Christian Dürr. «Neue Schulden

unabhängig von Krisen und Notsituationen wären verantwortungslos und
höchstwahrscheinlich auch nicht vereinbar mit den EU-Verträgen.»

Der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen bezeichnete den neuen
Vorschlag hingegen als «ein arrogantes Statement von Staaten, die den
Ernst der Lage nicht begriffen haben». Hoch verschuldeten Ländern
Kredite anzubieten und diese mit harten Auflagen wie in der
Euro-Krise zu verknüpfen, werde die Wirtschaftskrise verschärfen,
kritisierte er. «Verschärft sich die Wirtschaftskrise, fliegt die EU
auseinander.»