Proteste in Hongkong flammen neu auf - «Totengeläut für Autonomie»

24.05.2020 14:42

Mit den Plänen für ein Sicherheitsgesetz in Hongkong hat Chinas
Führung die politische Atmosphäre in der Metropole neu angeheizt. Die
Polizei setzt Tränengas ein. Die Rufe nach Unabhängigkeit werden
lauter.

Hongkong/Peking (dpa) - Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie
haben in Hongkong wieder Tausende gegen den Einfluss Chinas in der
Sonderverwaltungsregion demonstriert. Die Polizei setzte Tränengas,
Pfefferspray und Wasserwerfer ein. Dutzende wurden festgenommen.
Auslöser der Proteste am Sonntag waren Pekings Pläne für ein
Sicherheitsgesetz, das sich gegen subversive und separatistische
Aktivitäten in Hongkong richtet. Trotz Beschränkungen für
Versammlungen in der Corona-Krise gingen in den Einkaufsvierteln von
Causeway Bay und Wan Chai Tausende auf die Straße.

Einige hielten Spruchbänder, auf denen unter anderem «Der Himmel wird
die Kommunistische Partei Chinas zerstören» stand. Auch wurden
wiederholt Rufe nach Unabhängigkeit laut. Ein Großaufgebot von
Sicherheitskräften ging gegen die Demonstranten vor. Die Proteste
dauerten auch am Abend an. Radikale Aktivisten warfen Schaufenster
ein. Wegen der Corona-Pandemie gelten in der dicht bevölkerten
asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole eigentlich
Abstandsregeln, die Gruppen von höchstens acht Menschen erlauben.

«Auch wenn uns nicht erlaubt wird, Proteste zu organisieren, müssen
wir trotzdem zusammenkommen», sagte der Führer der
Demokratiebewegung, Joshua Wong, der Deutschen Presse-Agentur. «Es
ist der Anfang vom Ende; und die Zeit wird knapp.» Die internationale
Gemeinschaft müsse sich für Hongkong einsetzen.

Das überraschende Vorhaben der kommunistischen Führung hatte die
Atmosphäre neu angeheizt. Der seit Freitag tagende Volkskongress soll
zum Abschluss seiner Plenarsitzung am Donnerstag einen Beschluss
verabschieden, der dem Ständigen Ausschuss des Parlaments einen
Auftrag zum Erlass eines Gesetzes zum Schutz der nationalen
Sicherheit gibt, das Hongkongs Grundgesetz angehängt werden soll.

Das Gesetz wendet sich auch gegen ausländische Einmischung. «Wenn
nötig» sollen zudem chinesische Sicherheitsorgane in Hongkong
stationiert und eingesetzt werden. Die prodemokratischen Kräfte
riefen die Hongkonger auf, sich den Plänen zu widersetzen. Das
Vorhaben stieß auch international auf Kritik. US-Außenminister Mike
Pompeo sprach in Washington von einem «Totengeläut für die
Autonomie», indem Peking «einseitig und willkürlich nationale
Sicherheitsgesetzgebung in Hongkong verhängt».

Seit der Rückgabe an China 1997 wird Hongkong als eigenes Territorium
nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» autonom regiert. Seit
vergangenem Sommer erlebt die Metropole schon Woche für Woche
Demonstrationen, die sich gegen die eigene Regierung, als brutal
empfundene Einsätze der Polizei und den langen Arm Pekings richten.
Erst die Pandemie hatte die Proteste zum Stillstand gebracht.

Das Gesetzesvorhaben würde auch Hongkongs Parlament umgehen. Peking
argumentiert, dass der Legislativrat nach Artikel 23 des seit 1997
geltenden Grundgesetzes eigentlich selbst solche Sicherheitsgesetze
verabschieden müsste. Das Vorhaben war aber 2003 wegen
Massenprotesten auf Eis gelegt worden.

Chinas Außenminister Wang Yi wies am Rande der Jahrestagung des
Volkskongresses Befürchtungen zurück, der Eingriff könnte den Status

des asiatischen Wirtschafts- und Finanzzentrums schädigen. Die
US-Handelskammer äußerte sich aber besorgt über die Auswirkungen auf

das Geschäftsklima.

Auch die Europäische Union distanzierte sich von dem Vorhaben. Aus
EU-Sicht sollten solche Gesetze unverändert vom Legislativrat - wie
in Artikel 23 vorgesehen - verabschiedet werden, sagte der
EU-Außenpolitiker Josep Borrell in Brüssel. «Demokratische Debatte,
Konsultationen der wesentlichen Interessenvertreter und Achtung der
Rechte und Freiheiten der Hongkonger wären der beste Weg.»

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin
Göring-Eckardt, forderte eine Einbestellung von Chinas Botschafter
durch Außenminister Heiko Maas (SPD). «Die Bundesregierung darf im
Umgang mit China nicht länger hasenfüßig sein.»