Merkel: Deutschland kann sich höhere Verschuldung erlauben

26.06.2020 17:39

Berlin (dpa) - Angesichts der beispiellosen Herausforderung durch die
Corona-Pandemie darf Deutschland nach den Worten von Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) in Europa nicht nur an sich selbst denken. Man müsse in
diesen Zeiten vielmehr zu einem «außergewöhnlichen Akt der
Solidarität bereit» sein, sagte Merkel der «Süddeutschen Zeitung»

(Wochenendausgabe) und fünf weiteren europäischen Zeitungen
unmittelbar vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1.
Juli. Sie rief die EU auf, den «starken europäischen Binnenmarkt zu
erhalten und in der Welt geschlossen aufzutreten».

Merkel verteidigte den von Deutschland und Frankreich angeschobenen
Wiederaufbaufonds. In einer solchen Krise müsse man das Notwendige
tun, «und das Notwendige ist in diesem Fall etwas Außergewöhnliches
».
Deutschland könne sich mit seiner niedrigen Verschuldungsrate eine
höhere Verschuldung erlauben. Es liege im deutschen Interesse, dass
der Binnenmarkt stark sei, Europa zusammenwachse und nicht
auseinanderfalle. «Was gut für Europa ist, war und ist gut für uns.
»
Allerdings sollte man nicht zu oft die Existenzfrage stellen, sondern
seine Arbeit tun.

Die EU-Mitglieder haben hohe Erwartungen an Merkel und die
Bundesregierung - insbesondere bei den Verhandlungen über den 750
Milliarden Euro schweren Hilfsfonds und den mittelfristigen
Finanzplan von bisher 1,1 Billionen Euro. «Damit Europa bestehen
kann, muss auch seine Wirtschaft bestehen.» Die Bundeskanzlerin
stellte sich den Fragen des Zeitungsverbundes «Europa», dem neben der
«Süddeutschen Zeitung» «La Stampa» (Italien), «La Vanguardia»

(Spanien), «Le Monde» (Frankreich), «Polityka» (Polen) und «The
Guardian» (Großbritannien) angehören.

Nach der Finanz- und Eurokrise sowie der Migrationskrise 2015 sei
Europa «noch nicht ausreichend krisenresistent», warnte Merkel. Der
Wiederaufbaufonds könne nicht die eigene Wirtschaftsleistung der
Mitglieder ersetzen. Die Debatte sollte auch nicht überfrachtet
werden, etwa mit dem Wunsch nach Vertragsänderungen oder dem Recht
zur Steuerschöpfung.