Fleischindustrie in NRW muss Beschäftigte zweimal pro Woche testen

28.06.2020 13:30

Die Missstände in der Fleischindustrie sind schon länger bekannt, ein
umfangreicher Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb heizt die
Debatte aber an. Die Einen warnen, dass es bei Lippenbekenntnissen
bleibt, die Anderen bezweifeln die Lenkungswirkung höherer Preise.

Düsseldorf/Berlin (dpa) - Die Fleischindustrie in Nordrhein-Westfalen
muss Beschäftigte künftig mindestens zwei Mal pro Woche auf das
Coronavirus testen lassen. Die neue Vorgabe gelte ab 1. Juli für
Schlachthöfe, Zerlegebetriebe und vorrangig fleischverarbeitende
Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten und unabhängig davon, ob es
sich um eigene Beschäftigte oder Werkvertragsnehmer handele, teilte
das NRW-Ministerium für Arbeit und Gesundheit in Düsseldorf mit.

Hintergrund der Maßnahme sind mehrere größere Corona-Ausbrüche in
Schlachtbetrieben. Die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion,
Katja Mast, sprach sich dafür aus, dass Beschäftigte in der
Fleischindustrie bundesweit auf das Corona-Virus getestet werden:
«Falls notwendig auch mehrfach. Arbeitsschutz ist immer auch
Gesundheitsschutz.»

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) dringt auf ein
Umsteuern in der Fleischindustrie. Klöckner wirbt für eine
Tierwohlabgabe und will verstärkt gegen Dumping-Preise beim Fleisch
vorgehen. Die Grünen pochen auf rasche Reformen und mahnen Klöckner,
es nicht bei Ankündigungen zu belassen. Fraktionschef Anton Hofreiter
sagte: «Auch für die Regierung wird es keine zweite Chance geben, sie
muss jetzt liefern». Er bezog sich damit auf die Aussage Klöckners,
die Branche werde keine zweite Chance bekommen. Hofreiter forderte in
den Zeitungen der Funke Mediengruppe unter anderem eine verbindliche
Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung, wie es sie für Eier bereits
gibt. Die FDP warnt dagegen vor zusätzlichen Abgaben. Aus dem
Gewerkschaftslager kommen Forderungen, möglichst rasch per Gesetz für
bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu sorgen.

Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU),
forderte den Einzelhandel auf, Werbung mit billigen Fleischprodukten
zu unterlassen. «Es geht nicht, dass wir mit dem Produkt Fleisch, für
das im Übrigen immer ein Tier gestorben ist, Lockvogel-Angebote zum
Einkaufen machen», sagte Brinkhaus der «Rheinischen Post».

Auch Bauernpräsident Joachim Rukwied plädiert dafür, dass Fleisch als

wertvolles Lebensmittel mehr «Wertschätzung» verdiene. Dies müsse
sich auch in den Preisen ausdrücken, sagte er der «Passauer Neuen
Presse» (Samstag). Rukwied warnte aber vor einer «Stigmatisierung»
der Tierhalter. «Sie bemühen sich täglich, sieben Tage die Woche den

Tieren möglichst viel Tierwohl in den Ställen zu bieten, und sie
erzeugen hochwertige, heimische Lebensmittel für unsere Bevölkerung.»


Aus Sicht von FDP-Bundestagsfraktionsvize Frank Sitta geht «die
simple Gleichung, dass eine Erhöhung der Fleischpreise direkt zu mehr
Tierwohl, besserem Arbeitnehmer- und Umweltschutz führt» nicht auf.
Stattdessen müsse die Landwirtschaft unabhängiger von staatlichen
Fördergeldern werden, sagte er der «Passauer Neuen Presse».

Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) muss die
Bundesregierung die Eckpunkte von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
für bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
schnellstmöglich in Gesetzesform gießen. «Allen ist klar: Es braucht

jetzt verbindliche Regeln und Gesetze, keine Absichtserklärungen»,
sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der «Rheinischen Post».

Noch vor dem größten deutschen Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb
Tönnies hatte das Kabinett Eckpunkte für Neuregelungen beschlossen,
um problematische Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen zu unterbinden.
Kern ist ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen zum 1. Januar 2021
- also dass die komplette Ausführung von Arbeiten bei Subunternehmern
eingekauft wird. Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen.

Die EU-Kommission will das Problem schlechter Arbeitsbedingungen in
der Fleischindustriejetzt rasch auf europäischer Ebene angehen.
EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit sagte der Funke Mediengruppe, «wir
müssen jetzt schnell handeln und können nicht jahrelang über
Gesetzestexte reden». Andere EU-Mitgliedsländer hätten schon vor
Jahren Beschwerden über die deutsche Fleischindustrie wegen
unlauteren Wettbewerbs eingereicht. «Aber sozial schlecht
abgesicherte und diskriminierte Saisonarbeiter gibt es nicht nur in
Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten, etwa in den
Niederlanden oder in Südeuropa», sagte Schmit.