Hilfsorganisationen schlagen vor Syrienkonferenz Alarm - Mehr Hunger

29.06.2020 12:22

Seit mehr als neun Jahren tobt in Syrien ein Bürgerkrieg. Die Gewalt
hat sich zuletzt beruhigt. Aber das Leiden der Syrer geht weiter.
Wegen einer Wirtschaftskrise können viele gerade noch so überleben.

Brüssel/Damaskus (dpa) - Vor dem Beginn einer Syrienkonferenz
schlagen Hilfsorganisationen angesichts der Hungerkrise in dem
Bürgerkriegsland Alarm. «Die wirtschaftliche Situation wird schlimmer
und schlimmer», sagte der Programmkoordinator der Welthungerhilfe für
Syrien, Halil Kurt, der Deutschen Presse-Agentur. Überall im Land
gebe es mittlerweile Probleme bei der Versorgung mit Lebensmitteln.

Die Sprecherin des UN-Nothilfewerks Ocha warnte: «Nach neun Jahren
der Krise und einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen werden täglich
mehr Menschen in Hunger und Armut getrieben.»

Bei der am Dienstag stattfindenenden virtuellen Syrienkonferenz
wollen Europäische Union und Vereinte Nationen über Hilfe für die
syrische Zivilbevölkerung beraten. Nach mehr als neun Jahren
Bürgerkrieg erlebt das Land eine schwere Wirtschaftskrise. Das
syrische Pfund hat in den vergangenen Monaten massiv an Wert
verloren. Die Corona-Pandemie und neue US-Sanktionen haben die Lage
verschärft. Auch die Wirtschaftskrise im benachbarten Libanon trägt
dazu bei.

«Die Menschen müssen ihre Mahlzeiten verkleinern oder ganz ausfallen
lassen», sagte Kurt. Viele ernährten sich fast nur noch von Brot.
«Sie überleben noch, aber sie haben keine ausgewogene Ernährung mehr.

Das wird langfristig zu Gesundheitsproblemen führen.»

Schätzungen des Welternährungsprogramms (WFP) zufolge haben
mittlerweile rund 9,3 Millionen Syrer nicht mehr genug zu essen. Das
sei eine Zunahme um 1,4 Millionen Menschen in den vergangenen sechs
Monaten. Das WFP sprach im Vorfeld der Konferenz von einer
«beispiellosen Hungerkrise». Die Lebensmittelpreise seien innerhalb
eines Jahres um mehr als 200 Prozent gestiegen. Zudem klagen
Hilfsorganisationen seit Jahren, dass die humanitäre Hilfe
unterfinanziert sei.

Kurt zufolge braucht ein Familie in Syrien umgerechnet rund 120
US-Dollar im Monat, um sich mit den grundlegendsten Lebensmitteln und
Gütern versorgen zu können. Das entspreche mittlerweile im Schnitt
einem Einkommen von drei Monaten. «Die Syrer müssen also drei Monate
arbeiten, um einen Monat leben zu können», sagte Kurt.

Dazu beigetragen hätten Probleme in der Landwirtschaft, einer
wichtigen Säule der Wirtschaft. So könnten etwa im Norden und
Nordwesten des Landes viele Olivenhaine nicht mehr bestellt werden,
weil dort Vertriebene lebten. Landwirtschaftliche Güter wie Saatgut,
die importiert werden müssen, seien mittlerweile wegen des
Pfundverfalls häufig zu teuer. Nach Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha
gibt es in Syrien mehr als sechs Millionen Binnenvertriebene.

EU und UN wollen bei der Konferenz auch über Friedensbemühungen für
Syrien sprechen. Die Regierungsanhänger kontrollieren mittlerweile
wieder rund zwei Drittel des Landes, darunter die wichtigsten Städte.
Seit dem Beginn einer von den Schutzmächten Russland und Türkei
vereinbarten Waffenruhe für das letzte große Rebellengebiet Idlib im
Nordwesten des Landes hat sich die Lage dort beruhigt. Dennoch warnen
Beobachter, die Gewalt dort könne jederzeit wieder eskalieren.