Brexit: London fordert nun Tempo in Gesprächen mit der EU

29.06.2020 17:03

Monatelang ging in zähen Verhandlungsrunden zwischen der EU und
Großbritannien nichts voran. Jetzt soll plötzlich alles ganz schnell
gehen. Ist das realistisch?

Brüssel/London (dpa) - Unter wachsendem Zeitdruck suchen
Großbritannien und die Europäische Union diese Woche Fortschritte für

einen Handelspakt nach dem Brexit. Der britische Beauftragte David
Frost traf dazu am Montag in Brüssel EU-Unterhändler Michel Barnier
erstmals nach wochenlangen Videokonferenzen wieder persönlich. Nach
eigenen Worten will Frost nun rasche Fortschritte. Die EU-Seite ist
zurückhaltender.

«Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten das meiste aus unseren
intensivierten Gesprächen herausholen», schrieb Unterhändler Barnier

am Montag auf Twitter. Ziel bleibe eine umfassende künftige Beziehung
zum Vereinigten Königreich. Die EU bleibe ruhig, einig und
prinzipientreu.

Großbritannien war Ende Januar aus der EU ausgetreten. Seitdem hatten
beide Seiten bereits vier Mal ohne greifbare Ergebnisse über das
geplante Handels- und Partnerschaftsabkommen verhandelt, das bis zum
Ablauf der Brexit-Übergangsphase zum Jahresende stehen soll. Sonst
droht ab Januar ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und
Handelshemmnissen.

Weil bisher nichts voranging, hatten beide Seiten vereinbart, die
Gespräche zu verstärken. Diese Woche wird durchgängig in Brüssel
verhandelt, nächste Woche dann in London. Vor allem Großbritannien
drängelt inzwischen. Man werde keine Zeit auf Gespräche ohne
Fortschritte verschwenden, zitierte der «Telegraph» am Wochenende
eine ungenannte Regierungsquelle in London. Schon im Sommer solle der
grobe Umriss eines Abkommens stehen. Eine Einigung im Herbst sei
«viel zu spät», weil die Wirtschaft Klarheit brauche.

Auch die EU betont, sie wolle so schnell wie möglich einen
Kompromiss, verlangt dafür aber Zugeständnisse. «Wenn vor Jahresfrist

ein Abkommen stehen soll, müssen in dieser Verhandlungsrunde spürbare
Ergebnisse erzielt werden», mahnte der CSU-Europaabgeordnete Markus
Ferber. Es hake nicht an der EU, sondern «an der Sturheit der
Briten».

Die Hürden für eine Einigung sind hoch. Brüssel bietet London ein
umfassendes Handelsabkommen mit Zugang zum EU-Markt ohne Zölle und
Mengenbegrenzung, fordert aber dafür gleich hohe Sozial-, Umwelt- und
Verbraucherstandards. Großbritannien will keine Vorgaben der EU
akzeptieren. Weitere wichtige Streitpunkte sind Fischereirechte, die
Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei Streitigkeiten der
Vertragspartner und der Datenaustausch bei polizeilichen
Ermittlungen.

Berlin könnte eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen spielen.
Deutschland übernimmt von Juli an die EU-Ratspräsidentschaft.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuletzt Zweifel geäußert, ob die
britische Regierung ein ernsthaftes Interesse an einer Einigung auf
einen geregelten Brexit hat.

Verunsicherung stiftet die Beförderung des britischen
Chefunterhändlers Frost, der schon Ende August die Rolle des
Nationalen Sicherheitsberaters in der britischen Regierung übernehmen
soll. In britischen Medien wurde das als Signal gewertet, dass London
den Druck weiter erhöhen will, bis dahin zu einer Einigung zu kommen.