Erste Montage-Etappe von Kernfusionsreaktor Iter beginnt Von Amelie Richter, dpa

28.07.2020 15:02

Sie soll ein «Stern auf der Erde» sein: In der Experimentalanlage
Iter in Südfrankreich wollen Forscher versuchen, nach dem Vorbild der
Sonne Energie zu produzieren. Für Befürworter eine klimafreundliche
Lösung. Für Kritiker ein Milliardengrab und teures Spielzeug.

Saint-Paul-lez-Durance (dpa) - Alle Bauteile sind da: In hohen Hallen
nordöstlich von Aix-en-Provence in Südfrankreich lagern riesige
Magnetspulen, Vakuum-Behälter und glänzende Großbauteile aus Metall.

Zusammenmontiert sollen sie den Kernfusionsreaktor Iter ergeben, ein
Mammut-Projekt, das in der Zukunft klimafreundlich Energie
produzieren soll.

Der Beginn der Montage des Tokamak-Reaktors sei ein historischer
Moment, sagte Iter-Chef Bernard Bigot am Dienstag anlässlich einer
Zeremonie für den neuen Bauabschnitt. Der härteste Teil der Arbeit
liege nun aber noch vor dem Team. Der Aufbau sei wie ein riesiges
3D-Puzzle, das unter Beachtung des Zeitplans zusammengesetzt werden
müsse, so Bigot.

Die Corona-Pandemie hatte die Tätigkeiten auf der Großbaustelle bei
Cadarache, rund 60 Kilometer nordöstlich der französischen
Hafenmetropole Marseille, zuletzt verlangsamt. Ganz unterbrochen
wurden sie jedoch nicht. An dem Projekt sind neben der EU die USA,
Russland, China, Indien, Japan und Südkorea beteiligt. Die Kosten
werden auf mehr als 20 Milliarden Euro geschätzt, begonnen hatte der
Bau 2010.

Während der Pandemie sei es nicht einfach gewesen, die Herstellung
und die Lieferung von Bauteilen aus den Ländern sicherzustellen, so
der Iter-Chef bei der Feier, zu der Frankreichs Staatschef Emmanuel
Macron geladen hatte. Was am Ende aus diesen entstehen soll nennt
Bigot einen «Stern auf der Erde».

Der Reaktor Iter soll Energie aus der Verschmelzung von
Wasserstoff-Atomen erzeugen - und damit die Funktionsweise der Sonne
imitieren. Dazu wird ein Wasserstoffplasma auf 150 Millionen Grad
Celsius erhitzt. Das entstehende heiße Plasma muss von extremen
Magnetfeldern berührungsfrei in der Brennkammer eingeschlossen
werden. 2025 solle das erste Plasma eingesetzt werden und Physiker
mit Experimenten beginnen können, erklärte Bigot.

Für 2035 ist dann die Beladung des Reaktors mit Deuterium-Tritium und
der Beginn von Versuchen, Energie aus Kernfusion zu erzeugen,
geplant. Dass der Reaktor die Energie dann gegebenenfalls als
Elektrizität erfasst, ist nach Iter-Angaben nicht vorgesehen. Die
Experimentalanlage soll demnach aber den Weg für künftige
Fusionskraftwerke zur Stromerzeugung ebnen.

Befürworter erhoffen sich von der Kernfusion eine nahezu unendlich
verfügbare Energiequelle ohne klimaschädliche Emissionen oder das
Risiko einer Kernschmelze wie in Atomkraftwerken.

Kritiker sehen Iter dagegen als zu teuer an. Sylvia Kotting-Uhl,
Atom-Expertin der Grünen im Bundestag, spricht von einem
«Milliardengrab ohne Happy End». Die kommerzielle Anwendbarkeit der
Technologie stehe in den Sternen und werde im besten Fall gegen Ende
des Jahrhunderts möglich sein, kritisiert die Grünen-Politikerin.
«Deutschland und die EU steuern mit Vollgas in die Sackgasse, anders
kann man diesen Wahnsinn nicht bezeichnen.»

Und Kritiker unken zudem, dass die Fusionsenergie schlicht zu spät
komme. Die Treibhausgasemissionen müssten im Kampf gegen den
Klimawandel schon vorher deutlich sinken und die erneuerbaren
Energien hätten sich bis dahin durchgesetzt, so die Argumente. Heinz
Smital, Sprecher von Greenpeace Deutschland zu Atomkraft, nennt den
Iter-Reaktor ein «teures Spielzeug».

«Anlagen zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien sind heute
schon viel leistungsfähiger und preiswerter und werden sich in den
nächsten 50 Jahren auch noch weiter verbessern», so Smital. Selbst
wenn die Iter-Anlage fertig gebaut sei und funktionieren sollte,
werde sie keinen Strom erzeugen, kritisiert Smital.

Ein weiteres Problem des Forschungsprojektes, das auf ein Treffen von
US-Präsident Ronald Reagan mit dem sowjetischen Generalsekretär
Michail Gorbatschow im Jahr 1985 zurückgeht, ist die komplizierte
Organisation. Mehr als 30 Länder sind beteiligt: EU, USA, Russland,
China, Japan, Indien und Korea - und alle sollen möglichst
gleichmäßig von dem Mammutvorhaben profitieren.