Zweifel in Brasilien an Handelsvertrag mit EU wachsen

14.09.2020 16:17

Rio de Janeiro (dpa) - In Brasilien steigt angesichts der ablehnenden
Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Skepsis gegenüber
der Umsetzung des Handelsvertrags des südamerikanischen Staatenbundes
Mercosur mit der Europäischen Union. «Das waren überraschende
Äußerungen, auch weil Angela Merkel immer als jemand gesehen wurde,
der Brasilien helfen kann», sagt der Wirtschaftswissenschaftler
Daniel Sousa vom Ibmec Rio de Janeiro, einer der renommiertesten
Wirtschaftsuniversitäten Lateinamerikas, der Deutschen
Presse-Agentur.

Während die Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer
(AHK) in einer Erklärung die Bedeutung des Freihandelsabkommens und
die Wichtigkeit der baldigen Verabschiedung bekräftigte, hatte Merkel
eine mögliche Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens kürzlich auch
angesichts der anhaltenden Abholzung des Regenwaldes als «kein gutes
Signal» bezeichnet. «Statt die Annäherung zu suchen und Probleme
beim Schutz des Amazonas-Gebiets einzugestehen, bleibt die
brasilianische Regierung bei der Rhetorik, dass das, was über
Brasilien gesagt wird, Lüge ist», sagt Sousa. Dabei würde ein
Fortschreiten des Abkommens mit der EU für Lateinamerikas größte
Volkswirtschaft von einer verantwortungsvollen Haltung in der
Umweltpolitik abhängen.

Je größer der Druck aus dem Ausland wird, desto mehr pocht Brasilien
trotz des Wunsches nach dem Abkommen allerdings auch auf seine
Souveränität und Unabhängigkeit. Und desto mehr wächst die
nationalistische Rhetorik der Regierung des rechten Präsidenten Jair
Bolsonaro. Die wirtschaftliche Nutzung Amazoniens gehört zu den
Wahlversprechen Bolsonaros. «An einem Punkt wird Bolsonaro große
Probleme bekommen, weil ein Teil seiner Basis die kompetitive
Agrarwirtschaft ist», sagt Daniel Sousa.

Wenn die Schwierigkeit für brasilianische Unternehmen zunehme, Zugang
zum europäischen Markt zu bekommen, werde der Druck steigen, das
Abkommen zu ermöglichen. So schickte Bolsonaro bei den verheerenden
Bränden des vergangenen Jahres etwa erst das Militär in das
Amazonas-Gebiet, als führende Vertreter der Agrarlobby, die für
nahezu ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Brasiliens
verantwortlich ist, vor den Folgen eines Scheiterns des Abkommen
warnten.

Ein Scheitern des Abkommens hätte auch Auswirkungen auf andere
Wirtschaftsbereiche. «Als Vertreter der deutschen Wirtschaft
verstehen wir, dass dieses historische Abkommen ein grundlegender
Schritt zur wirtschaftlichen Entwicklung ist und zur Steigerung der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit beiträgt», heißt es in der
Erklärung der AHK, die in São Paulo 800 Mitgliedsunternehmen zählt.

Brasilien ist immer noch ein sehr geschlossenes Land, das hohe
Importzölle verlangt und eine wenig effiziente und wettbewerbsfähige
Industrie hat. «Eine weitere Möglichkeit, die brasilianische
Wirtschaft zu modernisieren und neue Unternehmen anzuziehen, wäre
vergeben», sagt Sousa. «Brasilien bleibt in diesem Prozess der
Globalisierung zurück.»