Trotz Rebellion: Mehrheit im britischen Unterhaus für Johnsons Gesetz

15.09.2020 04:15

Trotz aller Mahnungen und Warnungen hält Boris Johnson an seinem
umstrittenen Gesetz fest, mit dem er den gültigen Brexit-Deal
aufbohren will. Eine erste Hürde hat er nun genommen.

London (dpa) - Brüssel und London steuern im Moment auf einen harten
Bruch zu. Ungeachtet aller Warnungen hat sich im britischen Unterhaus
in einer ersten Abstimmung eine deutliche Mehrheit für das
umstrittene Binnenmarktgesetz von Premier Boris Johnson
ausgesprochen. 340 der Abgeordneten stimmten am Montagabend für das
Gesetz, mit dem Johnson Teile des gültigen Brexit-Deals ändern will.
263 votierten dagegen. Ein Antrag der Opposition, um das Gesetz zu
stoppen, war zuvor mehrheitlich abgelehnt worden.

Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer - in den kommenden Tagen
geht die Debatte über den Gesetzesentwurf weiter, erst in einer Woche
steht die entscheidende Abstimmung an. Danach muss das Gesetz noch
das Oberhaus passieren. Doch bereits am Montag kochten die Emotionen
im Parlament hoch: «Was für eine Inkompetenz! Was für ein
gescheitertes Regieren!», empörte sich etwa der Abgeordnete der
oppositionelle Labour-Partei, Ed Miliband, zu einem kopfschüttelnden
Regierungschef. Es gebe nur eine Person, die für all das
verantwortlich sei - Johnson selbst.

Dieser verteidigte sein Gesetz in der Debatte hingegen erneut als
«Sicherheitsnetz», das notwendig sei, um die Beziehung zwischen
Nordirland und dem Rest Großbritanniens zu schützen. Denn nach seiner
Darstellung drohte die EU unter anderem, mit einem Einfuhrstopp für
britische Waren auch den Warenfluss zwischen Irland und Nordirland zu
unterbinden. Und die EU habe «diesen Revolver noch immer nicht vom
Tisch genommen».

In einer ersten Reaktion britischer Medien stellte der Sender BBC auf
seiner Website fest, dass die Corona-Pandemie in diesem Jahr die
Nachrichten dominiert habe, doch nun sei auch der Brexit «wieder voll
auf der Tagesordnung» gelandet. Der «Telegraph» wiederum warnte
Johnson, er stehe mit dem Gesetz vor «einer völlig neuen
Brexit-Schlacht». Und der «Guardian» titelte, dass Johnson die
Abstimmung über ein kontroverses Gesetz gewonnen habe, «der
internationales Recht brechen wird».

Johnson hat eine Mehrheit von 80 Stimmen im Unterhaus, in der
Abstimmung hatte seine Regierungsfraktion am Montagabend eine
Mehrheit von 77 Stimmen - und das, obwohl sich zuvor etliche führende
Parteimitglieder, darunter auch konservative Ex-Premierminister wie
David Cameron und John Major, klar von dem Gesetz distanziert hatten.

Der Premierminister will mit dem Binnenmarktgesetz den 2019 mit der
Europäischen Union vereinbarten Austrittsvertrag in wesentlichen
Punkten ändern. Dabei geht es konkret um Sonderregeln für das
britische Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und
neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen.

Für die EU handelt es sich bei Johnsons Vorstoß um einen Rechtsbruch.
Brüssel forderte London daher auf, bis Ende September einzulenken.
Kritiker befürchten, dass das geplante Gesetz der Todesstoß für den
Handelsvertrag sein könnte, der die künftigen Wirtschaftsbeziehungen
neu regeln soll. Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase droht ohne
Vertrag ein harter Bruch mit Zöllen und hohen Handelshürden.