Klima, Corona, Migration: Leyen will der EU Weg aus der Krise zeigen

16.09.2020 05:00

Im Dezember 2019 kam sie ins Amt, jetzt stellt sich Ursula von der
Leyen erstmals einem Brüsseler Ritual - und hält die jährliche Rede
zur Lage der Europäischen Union. Die Erwartungen sind hoch.

Brüssel (dpa) - Klimaschutz, Digitalisierung, wirtschaftliche
Erholung: In ihrer ersten Rede zur Lage der Europäischen Union will
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch einen Weg aus
der Corona-Krise weisen. Konkret will sie eine drastische
Verschärfung des EU-Klimaziels 2030 vorschlagen, um den Umbau hin zu
einer grünen Wirtschaft ohne Treibhausgase zu beschleunigen. Zudem
sollen Grundlinien einer neuen Asyl- und Migrationspolitik deutlich
werden.

Die Erwartungen sind hoch an die Rede der 61-Jährigen, die im
Dezember 2019 ins Amt kam. «Wir brauchen Klarheit und konkrete
Maßnahmen, um ein souveränes Europa zu schaffen, das seine Bürger,
seine Werte und seine Zukunft schützt», sagte Liberalen-Fraktionschef
Dacian Ciolos. Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan bemängelte:
«Den vollmundigen Ankündigungen ihres Amtsantritts konnte sie bislang
wenig inhaltliche Substanz verleihen.» Grünen-Politiker Sven Giegold
meinte ebenfalls: «Ihr zweites Jahr muss ein Jahr des Handelns
werden.»

Fünf wichtige Punkte, die in der Rede im Brüsseler EU-Parlament
wichtig werden dürften:

CORONA-KRISE: Die EU-Staaten haben sich im Juli auf einen
siebenjährigen Haushaltsplan im Umfang von gut einer Billion Euro und
ein schuldenfinanziertes Corona-Aufbauprogramm im Umfang von 750
Milliarden Euro geeinigt. Doch ein Kompromiss mit dem Europaparlament
steht noch aus. Von der Leyen will schnell Entscheidungen, denn die
Wirtschaftskrise könnte im Herbst schlimmer werden. Zudem dürfte die
Kommissionschefin noch mal eine einheitlichere Linie in der EU bei
Maßnahmen gegen die Gesundheitskrise fordern.

KLIMAZIEL: Die EU soll ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um
mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 drücken - diese neue
Zielmarke der EU-Kommission sickerte bereits vorab durch. Es ist eine
drastische Verschärfung des bisherigen Ziels von minus 40 Prozent und
erfordert erheblich mehr Tempo beim Umbau von Energieversorgung,
Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Von der Leyen sieht die
Chance, mit dem Geld aus dem Corona-Programm die Wirtschaft jetzt
umzusteuern. Verbunden werden soll dies mit dem «Zwillingsziel»
Digitalisierung, die ebenfalls durch die Krise neuen Schub bekam.

MIGRATION: Nach fünf Jahren bitteren Streits in der EU will die
Kommission nächste Woche ihr Konzept für eine neue Asyl- und
Migrationspolitik vorlegen. Wegen der Brandkatastrophe und der großen
Not im griechischen Flüchtlingslager Moria hat von der Leyen das
Thema bereits vorgezogen. Erste Grundzüge der Reform will sie bereits
in ihrer Rede nennen, allerdings nicht allzu viele Details.

RECHTSSTAATLICHKEIT: Von der Leyen betont, wie wichtig ihr das Thema
ist - eine unabhängige Justiz, Gewaltenteilung, Medien- und
Meinungsfreiheit, all dies gehört zu den Grundwerten der EU. Aktuell
gibt es zwei Baustellen: Die EU hat erstmals als eine Art
Rechtsstaats-TÜV die Schwächen in allen 27 EU-Staaten abgeklopft und
will die Berichte demnächst vorlegen. Schwieriger noch ist der Plan
durchzusetzen, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung
solcher Werte zu koppeln. Vor allem Ungarn stellt sich quer.

EUROPA IN DER WELT: Von der Leyen hat anfangs eine «geopolitische
Kommission» angekündigt, und nun ist sie in einer Vielzahl von Krisen
gefordert. Der Streit mit der Türkei im östlichen Mittelmeer, der
Machtkampf in Belarus, die Spannungen mit Russland, die Rivalität mit
China und die schwierige Partnerschaft mit den USA - all das dürfte
bei von der Leyen Thema sein. Nicht zu vergessen: der Brexit und der
gefürchtete harte Bruch mit Großbritannien Anfang 2021.