Von der Leyen für neues Klimaziel 2030: «Mindestens 55 Prozent»

16.09.2020 10:10

Hitze, Trockenheit, Brände, Stürme: Die meisten Wissenschaftler sind
sich einig, dass der Klimawandel im vollen Gange ist. Jetzt will sich
die EU vornehmen, noch entschiedener gegenzusteuern.

Brüssel (dpa) - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
fordert, die Treibhausgase der Europäischen Union bis 2030 um
mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Die
drastische Verschärfung des EU-Klimaziels schlug von der Leyen am
Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union in Brüssel
vor. Bisher lautet das offizielle Ziel minus 40 Prozent.

Die Verschärfung auf «mindestens 55 Prozent» soll helfen, das Pariser

Klimaschutzabkommen einzuhalten und die gefährliche Überhitzung der
Erde zu stoppen. Das neue Ziel muss aber in den nächsten Wochen noch
mit dem EU-Parlament und den EU-Staaten geklärt werden.

Sie wisse, dass einigen diese Erhöhung des Einsparziels zu viel sei
und anderen nicht genug, sagte von der Leyen. Doch habe die
Folgenabschätzung der EU-Kommission eindeutig ergeben, dass die
Wirtschaft und Industrie die Verschärfung bewältigen könnten. Aus
ihrer Sicht sei die Zielvorgabe ehrgeizig, machbar und gut für
Europa, sagte von der Leyen.

Das neue Ziel würde drastische zusätzliche Anstrengungen im
Klimaschutz bedeuten. Geschafft wurden in den 29 Jahren von 1990 bis
2019 nach Angaben der EU-Kommission rund 25 Prozent Minderung. Für
das neue Ziel bleiben weniger als zehn Jahre. Unter anderen die
Grünen fordern jedoch noch mehr Ehrgeiz und eine Senkung um 65
Prozent.

Für die enormen nötigen Investitionen will von der Leyen das
Corona-Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro nutzen.
30 Prozent dieser Summe, die die EU über gemeinsame Schulden
finanzieren will, sollen aus «grünen Anleihen» beschafft werden,
kündigte die Kommissionschefin an.

Europäisches Geld solle vor allem in Leuchtturm-Projekte mit
größtmöglicher Wirkung investiert werden, darunter Wasserstoff,
Renovierung von Häusern und in eine Million Ladestationen für
Elektrofahrzeuge. Von der Leyen sprach von «European Hydrogen
Valleys» zur Modernisierung der Industrie und zur Entwicklung neuer
Kraftstoffe für Fahrzeuge.

Gebäude, aus denen heute 40 Prozent der Klimagas-Emissionen stammen,
sollten künftig nicht mehr so viel Energie verschwenden. Künftig
könnten sie mit kluger Technologie und Nutzung ökologischer Baustoffe
wie Holz sogar CO2 aufnehmen. Nötig sei eine Renovierungswelle.
«Deshalb werden wir ein neues europäisches Bauhaus errichten, einen
Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und
Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten», betonte von
der Leyen.

Nach Berechnungen der EU-Kommission müssten für das neue Klimaziel
allein die Investitionen in Energieproduktion und -nutzung im
Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren um jährlich 350 Milliarden
Euro gesteigert werden. Der Verbrauch von Kohle soll im Vergleich zu
2015 um 70 Prozent sinken, der Anteil von erneuerbaren Energien am
gesamten Energieverbrauch auf bis zu 40 Prozent steigen. Ältere
Gebäude müssten im doppelten Tempo wie bisher saniert und «klimafit
»
gemacht werden.

Zudem müssten einige Vorgaben für Energiewirtschaft und Industrie
weiter verschärft werden, darunter die CO2-Grenzwerte für Autos. Das
Emissionshandelssystem ETS, das bisher nur Kraftwerke und Fabriken
einschließt, soll auf Gebäude und Verkehr ausgedehnt werden.