EU als «Vorreiter»: Kommission spannt großes Finanzpaket

24.09.2020 18:30

Seit Jahren ringt die Europäische Union um eine engere Verzahnung
ihrer Finanzbranche. Hinzu kommen moderne Zahlungsdienstleistungen,
bei denen die EU noch hinterher hinkt. In einem großen Aufschlag will
die EU-Kommission nun diese und andere Finanzthemen angehen.

Brüssel (dpa) - Mit einem umfassenden Plan zum Finanzplatz Europa
will die EU-Kommission den Kontinent fit fürs digitale Zeitalter
machen. «Das heutige Paket wird Europas Wettbewerbsfähigkeit und
Innovation im Finanzsektor stärken und den Weg bereiten, damit Europa
weltweit Vorreiter ist», erklärte die Brüsseler Behörde am
Donnerstag. Bundesfinanzminister Olaf Scholz begrüßte die Vorschläge

der Kommission und will schon am 6. Oktober mit seinen EU-Kollegen
darüber beraten. «Das sind wichtige Vorschläge, um Europas
Finanzsektor richtig stark zu machen», erklärte der SPD-Politiker.

Dazu gehören neue Regeln für Digitalwährungen in der EU wie Bitcoin
oder das Facebook-Projekt Libra. Dazu gehört auch, die
Kapitalmarktunion voranzutreiben und die Finanzunternehmen gegen
Risiken etwa durch einen «No Deal» mit Großbritannien abzusichern.
«Die Zukunft der Finanzwelt ist digital», sagte der zuständige
EU-Kommissar Valdis Dombrovskis.

SEKUNDENSCHNELLES BEZAHLEN: Das soll in der ganzen EU Standard werden
- ob bei Online-Einkäufen oder im Laden. Schnellüberweisungen -
sogenannte Instant Payments - soll es bis Ende 2021 überall geben.
Auch Überweisungen in Länder außerhalb der EU sollen einfacher und
billiger werden. Elektronische Bezahllösungen von der EC- oder
Kreditkarte über Handy-Apps bis zur Smartwatch haben mit der
Corona-Krise nochmals Schub bekommen. Die EU-Kommission beklagt
jedoch eine Zerstückelung des europäischen Marktes. Mit Ausnahme von
Kreditkarten globaler Anbieter und Lösungen großer
Technologiekonzerne gebe es keine digitale Bezahllösung, die in ganz
Europa in Läden und Online genutzt werden könne. In ihrer Strategie
nennt die EU-Kommission drei Ansatzpunkte für Verbesserungen:
einheitliche Regeln, günstige Lösungen für den Endverbraucher und
eine bessere Infrastruktur.

KAPITALMARKT: «Wir haben 27 nationale Kapitalmärkte, die nicht voll
entwickelt und integriert sind», klagte der Vizekommissionspräsident.
Ziel ist, diese nationalen Märkte einander anzupassen. Das soll die
Finanzierung in der EU ankurbeln und Chancen für große Unternehmen
wie für Start-ups bieten. Die Europäer müssten sicher in ihre Zukunft

investieren können, betonte Dombrovskis. Dazu setzt die Kommission
auf ein Paket von 16 Initiativen. So sollen große Investoren
unterstützt werden, Geld in europäischen Unternehmen anzulegen.
Investoren sollen zudem leichter an Informationen kommen können. Gute
und günstige Finanzprodukte sollen europaweit zu bekommen sein.

WIRECARD: Der SPD-Europaparlamentarier Joachim Schuster lobte
besonders die Ankündigung, nach dem Wirecard-Skandal Lücken in der
Finanzaufsicht zu schließen. Starke Aufsichts- und
Durchsetzungsmechanismen seien nötig sind, «um solche Formen der
Finanzkriminalität effizient zu bekämpfen», sagte Schuster. «Hierzu

kann die EU-Kommission noch deutlich nachlegen.» Dombrovskis räumte
ein, dass bestehende Regeln nicht korrekt angewendet worden seien. Er
betonte aber, das Grundproblem sei gewesen, dass der mittlerweile
insolvente Zahlungsdienstleister «keine korrekten, ehrlichen
Informationen an seine Aktionäre weitergab».

BREXIT: Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber warnte mit Blick
auf einen drohenden Austritt Großbritanniens ohne Handelsvertrag mit
der EU, für die Gemeinschaft drohe der wichtigste Kapitalmarkt in
Europa wegzubrechen - London. «Wir dürfen bei der
Unternehmensfinanzierung nicht vollkommen von Drittstaaten abhängen.
Es geht hier auch um die strategische Frage der Autonomie der
Europäischen Union», sagte Ferber. Dombrovskis schlug in dieselbe
Kerbe. Der Brexit habe die Kapitalmarktunion viel dringlicher
gemacht. «Wir müssen versuchen, andere Quellen der Finanzierung zu
finden», sagte er.

KRYPTO-WÄHRUNGEN: Hier befindet sich die Kommission auf einem
schmalen Grat. Einerseits geht es darum, in einem Zukunftsmarkt nicht
den Anschluss zu verlieren. Vor allem Start-ups fürchten hohe
Auflagen, die Innovationen hemmen könnten. Anderseits pochen
Verbraucherschützer darauf, Gefahren für Privatanleger, aber auch
Missbrauch durch Kriminelle oder Terroristen zu minimieren.
Dombrovskis fasste das so zusammen: «Wir sollten den digitalen
Transformationsprozess aktiv gestalten und gleichzeitig potenzielle
Risiken minimieren.»

Mit dem Kommissionspaket würden Verbraucher mehr Auswahl und
Möglichkeiten bei finanziellen Diensten und modernen Zahlungsmethoden
erhalten. Gleichzeitig würden Verbraucherschutz und finanzielle
Stabilität gestärkt. Die Erwartungshaltung ist groß: «Die EU
harmonisiert den bestehenden Regulierungs-Flickenteppich bei
Kryptowerten und kann damit eine weltweite Vorreiterrolle einnehmen»,
sagte Patrick Hansen, Blockchain-Experte des Digitalverbands Bitkom.

LIBRA: Das maßgeblich von Facebook getragene Digitalwährungsprojekt
gehört zu den Vorhaben, die die Kommission stärker regulieren will.
Das Projekt habe großes Potenzial doch müssten die Finanzstabilität
sichergestellt werden sowie Absicherungen etwa gegen Geldwäsche und
Betrug, betonte Dombrovskis. Dafür gab es Lob von CSU-Mann Ferber:
«Es ist angemessen, dass Produkte wie Libra, die ein besonderes
Risiko für die Finanzstabilität darstellen, auch besonders streng
reguliert werden.» Unter anderem Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) und sein französischer Kollege Bruno Le Maire hatten strenge
Regeln verlangt für Libra, das vom Netzwerk Facebook für Geschäfte im

Internet angekündigt ist. Die Idee ist, dass Libra mit etablierten
Währungen wie Euro oder Dollar gekauft werden kann.