Sturgeon wirbt vor EU-Gipfel für Unabhängigkeit Schottlands

15.10.2020 00:01

Berlin (dpa) - Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon wirbt
kurz vor dem EU-Gipfel um europäische Unterstützung für die
Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich. «Die
schottische Regierung glaubt, dass die beste Zukunft für unser Land
als unabhängige Nation innerhalb der EU liegt», schreibt Sturgeon in
einem Gastbeitrag für die «Welt» (Donnerstag). Über die künftigen

Beziehungen zu Großbritannien nach dem Brexit beraten die EU-Staats-
und Regierungschefs an diesem Donnerstag. Die Verhandlungen mit
London über einen Handelspakt nach der Brexit-Übergangsphase kommen
bei entscheidenden Punkten seit Monaten kaum voran.

Sturgeon bezeichnete den Austritt Großbritanniens aus der EU als
«verantwortungslos», «töricht» und «schädlich für die Wirts
chaft».
Gerade weil die britische Regierung entschlossen sei, «Konsens und
Solidarität den Rücken zu kehren, braucht Schottland einen
alternativen Weg nach vorn», betonte sie. Im Gegensatz zur EU, in der
die Partner gleichberechtigt seien und Entscheidungen Konsens und oft
auch Einstimmigkeit erforderten, funktioniere das Vereinigte
Königreich anders.

Ende dieses Jahres läuft die Brexit-Übergangszeit ab. «Schottland und

der Rest des Vereinigten Königreiches werden dann den EU-Binnenmarkt
verlassen - entweder ohne Handelsabkommen oder mit einem Abkommen,
das im Vergleich zu unserer bisherigen Binnenmarkt-Mitgliedschaft
sehr schlecht ist.» Das bedeute eine unmittelbare Gefahr für
Arbeitsplätze, Investitionen und den Lebensstandard in Schottland,
befand Sturgeon.

Beim Brexit-Referendum im Jahr 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der
Briten für den EU-Austritt. Die Schotten votierten aber mit 62
Prozent dagegen. Anfang September hatte die schottische Regierung
erklärt, dass sie ein neues Unabhängigkeitsreferendum auf den Weg
bringen will. Bei der nächsten schottischen Parlamentswahl im Mai
2021 werde sie sich dafür stark machen, dass Schottland ein
unabhängiges Land werde, hatte Sturgeon betont.

Für ein solches Referendum benötigt sie aber die Zustimmung Londons.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat jedoch wiederholt
klargemacht, dass er keine zweite Volksabstimmung zulassen wird. Für
ihn wurde die Frage beim ersten Referendum 2014 geklärt. Damals
hatten sich rund 55 Prozent der Schotten gegen eine Abspaltung vom
Vereinigten Königreich ausgesprochen. Sturgeon argumentiert jedoch,
die Umstände hätten sich durch den Austritt Großbritanniens aus der
EU geändert.