Johnson: Großbritannien macht sich bereit für einen No-Deal

16.10.2020 14:33

Rund viereinhalb Jahre dauert nun schon die Scheidung Großbritanniens
von der EU - und immer wieder ging es hin und her. Nun scheint der
britische Premier aufs Ganze gehen zu wollen. Doch es bleibt eine
Hintertür.

Brüssel/London (dpa) - Im Brexit-Streit hat der britische
Premierminister Boris Johnson sein Land auf einen harten Bruch ohne
Vertrag mit der Europäischen Union am 1. Januar eingestimmt. Die EU
habe offenkundig kein Interesse an einem von Großbritannien
gewünschten Freihandelsabkommen wie mit Kanada, sagte Johnson am
Freitag in London. Dementsprechend erwarte man nun eine Beziehung wie
mit Australien - also ohne Vertrag.

Gleichwohl ließ sich Johnson eine Hintertür offen, doch noch weiter
mit der EU über einen Handelspakt zu verhandeln. Dafür müsse die EU
allerdings ihre Haltung ändern, sagte der Premier in einem im
Fernsehen übertragenen Statement. «Kommt hierher, kommt zu uns - wenn
es fundamentale Änderungen an eurer Position gibt.» Der EU-Gipfel sei
nicht «sehr ermutigend» gewesen. Wenn die EU ihre Haltung nicht
ändere, dann werde man sich wohl nicht einigen können.

Obwohl Johnson von einem Scheitern ausgeht, will Brüssel weiter mit
Großbritannien über den Handelspakt sprechen. «Wie geplant wird unser

Verhandlungsteam nächste Woche nach London fahren, um die
Verhandlungen zu intensivieren», schrieb EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen am Freitag auf Twitter. «Die EU arbeitet weiter
an einem Deal, aber nicht zu jedem Preis.»

Johnson hatte eigentlich eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15.
Oktober verlangt, was nicht gelang. Danach erwog er den Abbruch der
Gespräche. Eine glasklare Entscheidung verkündete er nun aber nicht,
sondern kündigte die Vorbereitung auf einen Bruch ohne Deal an.

Die EU hatte Johnson hingegen nochmals intensivierte Verhandlungen
für die nächsten zwei bis drei Wochen angeboten, mit dem Ziel, bis
Ende Oktober oder Anfang November eine Einigung zu erzielen.
Gleichzeitig verlangte der EU-Gipfel aber Zugeständnisse von London,
worauf die britische Regierung enttäuscht reagiert hatte.

Bei den Verhandlungen geht um einen umfassenden Handelsvertrag ab
2021. Großbritannien hatte die Staatengemeinschaft Ende Januar
verlassen, ist aber während einer Übergangszeit bis zum Jahresende
noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach
kommt der wirtschaftliche Bruch. Ohne Vertrag drohen Zölle und
hohe Handelshürden. Die Wirtschaft auf beiden Seiten warnte vor
erheblichen Verwerfungen. Einbußen sind bereits jetzt zu spüren.

In den seit Monaten laufenden Verhandlungen gab es lange Zeit fast
keine Bewegung. Hauptstreitpunkte waren von Anfang an der Zugang von
EU-Fischern zu britischen Gewässern sowie die Forderung der
Staatengemeinschaft nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die
Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards.
Im Gegenzug soll Großbritannien Waren ohne Zoll und
Mengenbeschränkung in den EU-Binnenmarkt liefern können.

Dritter wichtiger Punkt für die EU sind Regeln zur Schlichtung für
den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt. Das rückte
zuletzt in den Vordergrund, weil ein britisches Gesetz Teile des
bereits gültigen EU-Austrittsvertrags aushebeln soll. Dabei geht es
um Sonderregeln für den britischen Landesteil Nordirland. Brüssel
reagierte empört auf das sogenannte Binnenmarktgesetz.

Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den
EU-Austritt gestimmt. Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter
anderem mit der Ansage, den Brexit tatsächlich durchzuziehen.