Europa gegen Corona: Merkel sieht EU vor Bewährungsprobe

29.10.2020 13:38

Mehr als eine Million Fälle in einer Woche, rund 1000 Tote pro Tag:
Die Pandemie trifft Europa hart. Die EU-Staaten halten dagegen - im
Idealfall gemeinsam. Die Welt beobachte das sehr genau, sagt die
Bundeskanzlerin.

Brüssel (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht Corona für Europa
als entscheidende Bewährungsprobe. Legitimität und Leistungsfähigkeit

des europäischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems würden
weltweit auch nach dem Umgang mit der Pandemie beurteilt, sagte die
CDU-Politikerin am Donnerstag vor einem EU-Videogipfel. Europa stehe
in einem hartem globalen Wettbewerb.

Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs wollen sich am
Abend (ab 18.30 Uhr) zusammenschalten, um eine gemeinsame Linie vor
allem bei Test- und Impfstrategien zu suchen. Denn aus Sicht von
EU-Ratschef Charles Michel hat die dringend nötige Zusammenarbeit
bisher nur mäßig geklappt und eine dramatische zweite Welle der
Pandemie nicht gestoppt.

Allein in der vergangenen Woche gab es in Europa nach Angaben der
EU-Kommission 1,1 Millionen bestätigte Corona-Fälle, täglich werden
1000 Covid-19-Todesfälle registriert. Die Intensivstationen füllen
sich. In vielen Ländern wird das öffentliche Leben deswegen wieder
drastisch zurückgefahren, darunter sind große Länder wie Frankreich,

Italien und Spanien, aber auch Belgien oder Tschechien.

Darauf verwies auch Merkel in ihrer Regierungserklärung im Bundestag.
«Dennoch bin ich überzeugt, dass wir europäisch auf die gegenwärtig
e
Situation besser vorbereitet sind als zu Beginn der Pandemie», fügte
die Kanzlerin hinzu. So würden die Einschränkungen im Binnenmarkt
gering gehalten. Die Impfstoffversorgung werde von der EU-Kommission
vorbereitet. Und Deutschland stimme sich mit seinen Partnern intensiv
über Einreisen ab und koordiniere mit ihnen die Corona-Warn-App.

Ratschef Michel sieht dennoch Verbesserungsbedarf bei Themen wie
Quarantäneregeln, Tests und Apps zur Kontaktverfolgung. Bisher habe
man noch nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt, räumte Michel
diese Woche ein.

Tatsächlich lief die Abstimmung der EU-Staaten in der Krise vor allem
am Anfang schlecht. Im Frühjahr verärgerten sich die Partner
gegenseitig mit Grenzschließungen und Exportstopps für
Schutzkleidung. Zeitweise stauten sich Lastwagen an den Grenzen über
Dutzende Kilometer.

Seither geben sich die Staaten mehr Mühe, an einem Strang zu ziehen.
Allerdings: In der Gesundheitspolitik hat die EU kaum mitzureden, das
ist Sache der Mitgliedsstaaten. Die Kompromisssuche bei Regeln zur
Corona-Ampel für eine einheitliche Bewertung von Hotspots dauerte
Wochen. Die EU-Staaten gelobten zwar immer enge Zusammenarbeit,
wollten ihren Freiraum aber dann doch nicht einschränken, sagte ein
Diplomat am Donnerstag.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte mit Blick auf den
Videogipfel konkrete Vorschläge gemacht. So legte sie eine Empfehlung
für den Einsatz der neuen Antigen-Schnelltests vor, die binnen 15
Minuten ein Ergebnis zeigen. Diese könnten gemeinsam für die
EU-Staaten beschafft werden.

Zur Rückverfolgung von Infektionen sollen die EU-Staaten kompatible
Apps einführen und für die Nutzung werben. Zudem sollen sie der
EU-Seuchenbehörde ECDC und der Kommission mehr Daten zum
Infektionsgeschehen übermitteln. Auch bei den Impfstrategien sollen
sich die Staaten abstimmen - zum Beispiel, wer zuerst geimpft wird,
sobald ein Serum zur Verfügung steht.

Schließlich geht es auch um einen Konsens bei Quarantäne- und
Testpflichten für Reisende. Bis Dezember soll ein einheitliches
Formular erstellt werden, das Reisende ausfüllen müssen. So sollen
mögliche Kontakte besser verfolgt werden können.

Diese einheitlichen Regeln sollten jetzt vor allem für die Zeit
vorbereitet werden, wenn nationale Beschränkungen wieder gelockert
werden könnten, sagte der Diplomat. Der zweite Lockdown sei
vielerorts unausweichlich. Es gehe darum, das Virus in der Zeit
danach zu managen und keinen dritten Lockdown zu riskieren.