Videogipfel: EU-Staaten suchen Schulterschluss gegen Corona

29.10.2020 18:56

Zu Anfang der Pandemie machte jeder seins. Doch inzwischen versuchen
die EU-Staaten zumindest, an einem Strang zu ziehen. Bundeskanzlerin
Angela Merkel sieht Europa in einer Bewährungsprobe.

Brüssel (dpa) - In der dramatischen zweiten Corona-Welle sucht die
Europäische Union einen engeren Schulterschluss. Bundeskanzlerin
Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs schalteten
sich am Donnerstagabend per Video zusammen, um über gemeinsame Test-
und Impfstrategien sowie gegenseitige Unterstützung im Kampf gegen
das Virus zu beraten.

Merkel beschrieb die Krise in einer Regierungserklärung vor dem
Videogipfel als Bewährungsprobe für Europa. Legitimität und
Leistungsfähigkeit des europäischen Wirtschafts- und
Gesellschaftssystems würden weltweit auch nach dem Umgang mit der
Pandemie beurteilt, sagte die CDU-Politikerin. Dabei stehe Europa in
einem harten globalen Wettbewerb.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Donnerstagnachmittag, die
ganze Welt stehe am Scheideweg. Überall nehme Covid-19 wieder zu. Es
gelte, die Gesundheit der Bürger zu schützen und eine nachhaltige
wirtschaftliche Erholung auf den Weg zu bringen. «Es gibt nur einen
Weg dahin: durch Solidarität, Kooperation und Multilateralismus.»

In der EU hat die dringend nötige Zusammenarbeit aus Michels Sicht
bisher nur mäßig geklappt und die zweite Welle nicht verhindert.
Allein in der vergangenen Woche gab es in Europa nach Angaben der
EU-Kommission 1,1 Millionen bestätigte Corona-Fälle, täglich werden
etwa 1000 Covid-19-Todesfälle registriert. Die Intensivstationen
füllen sich. Nicht nur Deutschland fährt das öffentliche Leben
zurück, sondern auch Frankreich, Italien, Spanien, Belgien und
Tschechien.

Merkel sagte im Bundestag, sie sei «überzeugt, dass wir europäisch
auf die gegenwärtige Situation besser vorbereitet sind als zu Beginn
der Pandemie». So würden die Einschränkungen im Binnenmarkt gering
gehalten. Die Impfstoffversorgung werde von der EU-Kommission
vorbereitet. Und Deutschland stimme sich mit seinen Partnern intensiv
über Einreisen ab und koordiniere mit ihnen die Corona-Warn-App.

Im Frühjahr hatte es bei der Zusammenarbeit in der EU sehr geholpert.
Die Partner verärgerten sich gegenseitig mit Grenzschließungen und
Exportstopps für Schutzkleidung. Zeitweise stauten sich Lastwagen an
den Grenzen über Dutzende Kilometer. Seither geben sich die Staaten
mehr Mühe, an einem Strang zu ziehen.

Allerdings: In der Gesundheitspolitik hat die EU kaum mitzureden, das
ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Kompromisssuche bei Regeln zur
Corona-Ampel für eine einheitliche Bewertung von Hotspots dauerte
Wochen. Die EU-Staaten gelobten zwar immer enge Zusammenarbeit,
wollten ihren Freiraum aber dann doch nicht einschränken, sagte ein
Diplomat am Donnerstag.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte mit Blick auf den
Videogipfel konkrete Vorschläge gemacht. So legte sie eine Empfehlung
für den Einsatz der neuen Antigen-Schnelltests vor, die binnen 15
Minuten ein Ergebnis zeigen. Diese könnten gemeinsam für die
EU-Staaten beschafft werden.

Zur Rückverfolgung von Infektionen sollen die EU-Staaten kompatible
Apps einführen und für die Nutzung werben. Zudem sollen sie der
EU-Seuchenbehörde ECDC und der Kommission mehr Daten zum
Infektionsgeschehen übermitteln. Auch bei den Impfstrategien sollen
sich die Staaten abstimmen - zum Beispiel, wer zuerst geimpft wird,
sobald ein Serum zur Verfügung steht.

Schließlich geht es auch um einen Konsens bei Quarantäne- und
Testpflichten für Reisende. Bis Dezember soll ein einheitliches
Formular erstellt werden, das Reisende ausfüllen müssen. So sollen
mögliche Kontakte besser verfolgt werden können.

Diese einheitlichen Regeln sollten jetzt vor allem für die Zeit
vorbereitet werden, wenn nationale Beschränkungen wieder gelockert
werden könnten, sagte der Diplomat. Der zweite Lockdown sei
vielerorts unausweichlich. Es gehe darum, das Virus in der Zeit
danach zu managen und keinen dritten Lockdown zu riskieren.