Polen und Ungarn wegen EU-Blockade unter Druck

17.11.2020 18:20

«Es geht um die Zukunft Europas»: Mit eindringlichen Appellen an
Ungarn und Polen wird in der EU versucht, die Blockade der
Corona-Hilfen und des riesigen Finanzpakets für die kommenden Jahre
zu lösen. Gelingt noch eine Einigung?

Brüssel/Berlin (dpa) - Ungarn und Polen geraten wegen ihrer Blockade
der milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen und des langfristigen
EU-Haushalts unter Druck. Deutschland und andere EU-Staaten riefen
die Regierungen in Warschau und Budapest am Dienstag in einer
Videoschalte auf, ihr Veto fallenzulassen. Zudem sind CDU und CSU
wieder mit Forderungen nach einem Ende der Zusammenarbeit mit der
ungarischen Regierungspartei Fidesz konfrontiert. Diese ist ebenfalls
Mitglied der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach Angaben von Teilnehmern in
einer Video-Sitzung der Unionsfraktion, es gehe nun darum, mit allen
Seiten eine Lösung zu finden. Dies gehöre zu den schwierigeren
Problemen und setze «ein bisschen» guten Willen voraus. Sie hoffe,
dass es diesen guten Willen gebe. Sowohl unter den Mitgliedsstaaten
als auch mit der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament sei
eine Lösung ohne Rechtsstaatlichkeit allerdings nicht möglich.

Das von Ungarn und Polen kritisierte Verfahren sieht konkret vor, bei
bestimmten Verstößen gegen Grundwerte der EU die Kürzung von
Finanzhilfen zu ermöglichen. Das soll zwar nur dann möglich sein,
wenn ein Missbrauch von EU-Mitteln droht. Dies könnte aber schon der
Fall sein, wenn eine mangelnde Unabhängigkeit von Gerichten
begründete Bedenken weckt, dass Entscheidungen über die Verteilung
von EU-Mitteln nicht mehr unabhängig kontrolliert werden können. Den
Regierungen in Ungarn und Polen wird immer wieder vorgeworfen, ihren
Einfluss auf die Justiz auszubauen.

An der Videoschalte der EU-Staaten waren die für allgemeine
Angelegenheiten zuständigen Minister beteiligt. Sie wurde von
zahlreichen Teilnehmern genutzt, um ihren Unmut über die Blockade zum
Ausdruck zu bringen. «Es ist nicht die Zeit für Vetos, sondern für
schnelles Handeln im Geiste der Solidarität», sagte der deutsche
Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD). EU-Haushaltskommissar
Johannes Hahn warnte vor politisch unvorstellbaren Konsequenzen,
sollte das Finanzpaket scheitern. «Es geht um die Zukunft Europas.»

Ungarn und Polen wiesen die Kritik vehement zurück. Die ungarische
Justizministerin Judit Varga sagte, beim Thema Rechtsstaatlichkeit
gehe es um «ideologische Debatten». Der geplante Mechanismus könne
willkürliche Verfahren zur Folge haben. Polens Europaminister Konrad
Szymanski kritisierte, es gebe einen Mangel an rechtlichen Garantien.
Man habe die Probleme angesprochen, deswegen dürften die jüngsten
Entwicklungen niemanden überraschen.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte unterdessen
vor Zugeständnissen an die beiden Länder. «Wenn die EU jetzt
einknicken würde, dann würde sie ihre Werte verkaufen», sagte
Asselborn dem «Tagesspiegel» (Dienstag). Die EU müsse standhaft
bleiben.

Die Forderung nach einem Ausschluss der Fidesz-Partei kam unter
anderem von EVP-Parteichef Donald Tusk. Der Pole rief CDU, CSU und
andere Mitgliedsparteien indirekt dazu auf, diesem Schritt nicht mehr
entgegenzustehen. «Wer auch immer gegen das Prinzip des Rechtsstaats
ist, ist gegen Europa», schrieb Tusk auf Twitter. Er erwarte von
allen EVP-Parteien eine klare Position. «Die Gegner unserer
Grundwerte sollten von niemandem mehr beschützt werden.»

Deutsche Unions-Politiker gaben sich davon unbeeindruckt. Der Chef
der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, sagte: «Ich glaube nicht,
dass die blockierte Situation sich dadurch auflösen lässt, dass man
die Fidesz aus der EVP ausschließt.» Der Vorsitzende der
CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Daniel Caspary, sagte, ein
Rausschmiss des Fidesz helfe jetzt niemandem. Die Blockade sei zwar
inakzeptabel. Nun gehe es jedoch erstmal darum, «in dieser schlimmen
Corona-Situation» den EU-Haushalt, die Corona-Hilfen und den
Rechtsstaatmechanismus in Gang zu setzen.

Wie die Blockade gelöst werden kann, ist unklar. Roth sagte, die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft arbeite hart daran, die Hürden aus
dem Weg zu räumen. Nach Angaben von EU-Diplomaten dürfte das Thema
die für diesen Donnerstagabend geplante Videokonferenz der Staats-
und Regierungschefs dominieren. Deutschland hat noch bis Ende des
Jahres den rotierenden EU-Ratsvorsitz inne.