Cloud-Initiative Gaia-X stößt bei Unternehmen auf großes Interesse

18.11.2020 16:16

Noch fehlt die Unterschrift des belgischen Königs, um die
Organisation für die europäische Cloud-Initiative Gaia-X in Belgien
zu gründen. Das hindert die Macher des Projektes nicht daran, schon
jetzt konkret zu werden.

Berlin (dpa) - Immer mehr Firmen wollen sich am Aufbau der
europäischen Cloud- und Dateninfrastruktur Gaia-X beteiligen. Neben
den 22 Gründungsunternehmen aus Deutschland und Frankreich haben nach
Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums «weit mehr als 100 weitere
Unternehmen» ihr Interesse bekundet, «Mitglied der ersten Stunde» bei

der in Gründung befindlichen Gaia-X-Organisation zu werden.

Bei dem im Oktober 2019 vorgestellten Projekt geht es darum, in
Europa nicht alternativlos auf die großen IT-Konzerne aus den USA und
China angewiesen zu sein. Dafür soll ein Konzept erarbeitet werden,
mit dem neue und bestehende Angebote über Open-Source-Anwendungen und
offene Standards miteinander vernetzt werden.

Gaia-X strebt aber nicht an, selbst einen «Hyperscaler» nach dem
Vorbild von Google, Amazon oder Microsoft zu schaffen. Vielmehr will
Gaia-X den Cloud-Riesen mit einer Vernetzung von vielen kleineren
Anbietern aus Europa entgegentreten. Der Betrieb dynamisch verteilter
Systeme wie einer Cloud-Umgebung ist allerdings gerade für kleinere
Anbieter und die IT-Abteilungen in mittelständischen Unternehmen nur
schwer zu meistern.

Bei der Entwicklung von Gaia-X setzten die Initiatoren nicht von
Anfang an auf eine umfangreiche und allumfassende Lösung, betonte das
Wirtschaftsministerium am Mittwoch zum Auftakt eines zweitägigen
virtuellen Gaia-X-Treffens. Vielmehr wolle man im kommenden Jahr mit
einem «Minimum Viable Product» («minimal funktionsfähiges Produkt
»)
an den Start gehen: Dies sei der Ausgangspunkt für Prototypen, den
Test kritischer Funktionalitäten und weitere Entwicklungen.

«Das Verfahren zur Zertifizierung, ob Dienste Gaia-X-konform sind,
braucht noch etwas Zeit», sagte Boris Otto, Leiter des
Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST), dem
«Tagesspiegel Background Digitalisierung und KI». «Wir werden Mitte
nächsten Jahres die ersten zertifizierten Gaia-X-Anwendungen sehen.»

Die auf Gaia-X basierenden Anwendungen sollen es erlauben, Daten
untereinander branchen- und länderübergreifend sicher auszutauschen.
Außerdem sollen Cloud-Lösungen möglich gemacht werden, die dem
europäischen Recht entsprechen. Gegen Dienste aus den USA wie
Microsoft Azure, Google Cloud und Amazon AWS gibt es insbesondere
nach dem Urteil des EuGH («Schrems II») Vorbehalte, weil diese sowohl
der Europäischen Datenschutzgrundverordnung als auch dem
US-amerikanischen Cloud Act entsprechen müssen. Dies ist selbst mit
individuellen Rahmenverträgen nach Einschätzung von Datenschützern
kaum möglich.

Vor diesem Hintergrund sind US-Konzerne wie Amazon, Google, IBM und
Microsoft selbst in der Gaia-X-Initiative aktiv. Dies widerspricht
der Vorgabe aus der Politik nicht: So hatte Minister Altmaier
mehrfach erklärt, dass auch Tech-Konzerne aus den USA Angebote
entwickeln sollten, die mit den Richtlinien von Gaia-X konform sind.

Der Industrieverband BDI forderte, schnellstmöglich Angebote mit
einem konkreten Mehrwert für Unternehmen zu schaffen. «Gaia-X muss
der europäische Goldstandard in der Industrie werden», sagte Iris
Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Die Politik sollte
stärker Forschungs- und Entwicklungsprojekte in wirtschaftlichen
Anwendungsbereichen fördern. Bund, Länder und Kommunen müssten die
Chance nutzen, mit Gaia-X die Digitalisierung der öffentlichen
Verwaltung voranzutreiben: «Deutschland liegt mit seinen digitalen
Diensten auf einem inakzeptablen 21. Platz im Ranking der 27
EU-Staaten. Eine hohe Nachfrage aus dem öffentlichen Sektor würde
Gaia-X die dringend notwendige Starthilfe geben.»

Der Digitalbranchenverband Bitkom erklärte, entscheidend für den
Erfolg sei, dass schnell konkrete Anwendungen an den Markt kämen.
«Für die Gaia-X-Mitglieder wird ausschlaggebend sein, wie dieses
Cloud-Ökosystem innovative Anwendungen befördert, die Hoheit über die

eigenen Daten wahrt und damit das Ziel der Datensouveränität
erreicht», sagte Susanne Dehmel, Mitglied der
Bitkom-Geschäftsleitung. Cloud-Lösungen seien nicht nur Treiber der
digitalen Transformation, sondern ermöglichten erst
Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz. «Wenn Europa im
internationalen Wettbewerb auch künftig eine wichtige Rolle spielen
will, müssen wir noch stärker auf diese Technologien setzen. Gaia-X
kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.»