Windstrom auf See: EU-Kommission will Menge vervielfachen

19.11.2020 16:15

Das Meer ist Urlaubsziel, Arbeitsplatz für Fischer, Lebensraum für
Tiere. Aber es könnte auch riesige Mengen Strom liefern. Wie bringt
man alles unter einen Hut? Die EU-Kommission macht einen Vorschlag.

Brüssel (dpa) - Für klimafreundlichen Strom sollen Tausende neue
Windräder vor Europas Küsten gebaut werden. Die Kapazität soll nach
einer neuen Strategie der EU-Kommission von heute 12 Gigawatt schon
2030 auf 60 Gigawatt wachsen und bis 2050 sogar auf 300 Gigawatt.
Binnen 30 Jahren sollen 800 Milliarden Euro investiert werden. Neben
der Windkraft sollen auch andere erneuerbare Energien auf See
ausgebaut werden, so etwa Tidenhubkraftwerke oder schwimmende
Solarparks. Das soll noch einmal 40 Gigawatt bringen.

«Wir stecken uns hohe Ziele, sowohl wegen der Dringlichkeit als auch
wegen des hohen Potenzials», sagte Kommissionsvize Frans Timmermans
am Donnerstag bei der Vorstellung des Konzepts. Der Plan soll dazu
beitragen, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Nötig seien
sorgfältige Planung, viel Geld und Absprachen mit den Betroffenen wie
Tourismus, Fischerei und Naturschützern, sagte Timmermans. Er zeigte
sich sicher: «Das kann mit der Natur vereinbart werden.» Etwa drei
Prozent der EU-Meeresflächen reichten aus.

Windkraft auf See gilt als eine der aussichtsreichsten erneuerbaren
Energien, weil der Wind dort stetig stark bläst. Doch ging der Ausbau
in den vergangenen Jahrzehnten langsamer voran als ursprünglich
gedacht, unter anderem wegen des schwierigen Baus der Anlagen und der
Leitungsanbindung. Deutschland hatte nach Branchenangaben zuletzt
eine Kapazität von knapp 7,4 Gigawatt.

Auch der deutsche Energiebranchenverband BDEW sieht großes weiteres
Potenzial und begrüßte die klare Zielsetzung aus Brüssel. Dies sei
ein wichtiges Signal an die Windkraftbranche, erklärte BDEW-Chefin
Kerstin Andreae in Berlin. Das Zwischenziel von 60 Gigawatt bis 2030
sei nur das Mindestmaß, zumal allein Deutschland eine Größenordnung
von 20 Gigawatt anstrebe.

Den Grünen sind die Pläne zu zaghaft. Für Klimaneutralität seien
letztlich 450 Gigawatt Kapazität nötig, monierte die
Europaabgeordnete Jutta Paulus. «Überdies kommen Meeresschutz und
Erhalt der Artenvielfalt in der Strategie viel zu kurz», fügte sie
hinzu. Der Naturschutzbund Nabu verweist auf Risiken für
Meeressäuger, Fische sowie Zug- und Rastvögel und mahnt ebenfalls,
die Energiewende naturverträglich zu gestalten.

Die Offshore-Strategie nimmt alle Meeresflächen der EU in den Blick,
also Nord- und Ostsee, den Atlantik, das Mittelmeer und das Schwarze
Meer. «Mit unseren riesigen Meeresbecken und unserer industriellen
Führungsrolle hat die Europäische Union alles, was nötig ist, um die

Herausforderung anzugehen», sagte Timmermans.

Die Strategie setzt auf große gemeinsame Projekte verschiedener
Mitgliedsstaaten. Konkret sieht der Plan vor, durch einen klaren
Rechtsrahmen Investitionsanreize zu setzen. Die EU-Regeln für den
Strommarkt sollen entsprechend angepasst werden, ebenso die
Beihilferegeln für Energie und Umweltschutz und die Richtlinie für
erneuerbare Energien. Gleichzeitig sollen alle verfügbaren
EU-Fördertöpfe aktiviert werden, darunter sogenannte Kohäsionsmittel,

der geplante Fonds für den gerechten Wandel sowie der geplante
Corona-Hilfsfonds.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier begrüßte den Plan. «Wir
brauchen hier insbesondere Regelungen, die sicherstellen, dass
der Windstrom aus diesen grenzüberschreitenden Projekten effektiv in
den Markt integriert und abtransportiert werden kann», erklärte der
CDU-Politiker. «Hier liegt noch einiges an Arbeit vor uns.» Die
Strategie der Kommission sei ein guter Startschuss.