Ausbessern statt Wegwerfen: Europaparlament will Recht auf Reparatur Von Rachel Boßmeyer, dpa

25.11.2020 20:22

Das Handyakku ist kaputt oder die Kaffeemaschine macht Ärger? Eine
Reparatur soll nach dem Willen des Europaparlaments bald einfacher
und günstiger sein. Verbraucherschützer sind erfreut. Die Wirtschaft
ist skeptisch.

Brüssel (dpa) - Fehlende Ersatzteile, hohe Reparaturkosten und zu
schnell verschleißende Produkte - all dem will das Europaparlament
ein Ende setzen. Die Abgeordneten stimmten am Mittwoch für ein Recht
auf Reparatur - sie wollen damit den europäischen Binnenmarkt damit
grüner und nachhaltiger gestalten.

Der Bedarf für Verbesserungen ist da: Nach Informationen der
europäischen Verbraucherschutzorganisation BEUC haben Nutzer in
Belgien mehr als 11 000 Produkte registriert, die zu früh den Geist
aufgaben. Zwei von drei waren nicht einmal drei Jahre alt, und in
mehr als 80 Prozent der Fälle war eine Reparatur nicht erfolgreich.
Zwar wollen etwa 70 Prozent der EU-Bürger ein defektes Produkt lieber
ausbessern lassen als ein Neues zu kaufen, wie es in einer Studie der
EU-Kommission von 2018 heißt. Doch das ist nicht immer so einfach.

Evelyne Gebhardt, Europaabgeordnete der SPD, spricht aus eigener
Erfahrung. Vor einigen Jahren hatte sie Probleme mit ihrem Drucker.
Das Gerät zog das Papier nicht mehr richtig ein, ein kleines Rädchen
war defekt. Doch es war fest verschweißt, ein Ersatzteil für das
kaputte Teil nicht verfügbar, wie Gebhardt erzählt. Eine Reparatur
war somit nicht möglich.

Mit dem Recht auf Reparatur sollen Verbraucher deshalb schon beim
Kauf umfassende Informationen über die Kosten von Ersatzteilen
erhalten - und auch darüber, ob ein Gerät repariert werden kann.
Damit das häufiger der Fall ist, müssen vielfach die Waren angepasst
werden, sagt Karolina Wojtal vom Europäischen Verbraucherzentrum der
Deutschen Presse-Agentur. «Viel zu oft sind sie verlötet, verklebt
oder verschweißt, so dass sie kaputt gehen, wenn man sie reparieren
will.» Oder aber es sei Spezialwerkzeug notwendig.

Der BEUC-Direktor für den Bereich Recht und Wirtschaft, Agustin
Reyna, begrüßt das Vorhaben des EU-Parlaments. «Das ist genau die Art

Initiative, die Verbraucher brauchen, um unsere Konsumgewohnheiten
grüner zu machen.» In der Wirtschaft trifft das Vorhaben auf weniger
Gegenliebe. «Ein Recht auf Reparatur mag sich populär anhören,
tatsächlich ist in der Praxis weder eine verbraucherfreundliche noch
eine umweltschonende Umsetzung möglich», sagt Achim Berg, Präsident
des Telekommunikationsverbandes Bitkom der dpa. Es sei vielmehr
kontraproduktiv.

Ein Recht auf Reparatur würde die Hersteller von Elektronikgeräten
zwingen, eine enorme Menge an Ersatzteilen für lange Jahre auf Vorrat
zu produzieren und einzulagern, sagt Berg. «Das erzeugt deutlich mehr
Müll als es vermeidet.» Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer d
es
Bundesverbands der Deutschen Industrie, Holger Lösch, sagte der dpa:
«Das verursacht mitunter hohe Kosten, die sich auf die
Reparaturkosten, aber auch auf die Preise für Neugeräte auswirken
dürften.» Wojtal fordert auch deshalb, dass Bauteile standardisiert
werden.

Berg will statt einem Recht auf Reparatur Steuervergünstigungen für
Reparaturen, damit das Ausbessern für Verbraucher günstiger werde.
Auch die EU-Abgeordneten vereinen sich hinter dem Ziel preiswerter
Reparaturen. Denn derzeit lohnt sich das Ausbessern finanziell nicht
unbedingt, wie eine Untersuchung von Stiftung Warentest zeigt. Aufs
große Ganze gerechnet gelte etwa bei Waschmaschinen: «Wer immer
gleich beim ersten ernsten Defekt eine neue kauft, zahlt am Ende nur
wenig mehr als derjenige, der sie immer reparieren lässt.»

Auch aus ökologischer Sicht ist Lösch zufolge nicht immer eine
Reparatur sinnvoll. Der Neukauf von energieeffizienten
Haushaltsgroßgeräten wie Waschmaschinen oder Kühlschränke könne i
m
Vergleich zur Reparatur älterer Geräte mehr Sinn machen, wenn in der
Nutzungsphase erheblich Energie eingespart werden könne. Laut der
Erhebung von Stiftung Warentest hängt es stark vom Produkt ab, ob ein
Neukauf oder eine Reparatur nachhaltiger sei. Bei Waschmaschinen oder
Kaffeemaschinen sei die Herstellung oft sehr viel belastender für die
Umwelt als eine Reparatur. Anders sei dies bei Staubsaugern.

Die Europaparlamentarier wollen Produzenten künftig auch in puncto
Lebensdauer stärker verpflichten. «Viele der Produkte werden extra so
gebaut, dass sie nach kurzer Zeit kaputt gehen», kritisiert die
Grünen-Parlamentarierin Anna Cavazzini. Ein vorzeitiger Verschleiß
soll nach dem Parlamentsbeschluss deshalb als unlautere
Wettbewerbspraktik gelten. Andreas Schwab von der CDU merkt jedoch
an, dass die Haltbarkeit letztlich auch stark vom Gebrauch abhänge.

Wenn es nach den Abgeordneten geht, soll von der erwarteten
Lebensdauer auch die Garantiezeit abhängen. Ein Vorschlag, den
Verbraucherschützerin Wojtal befürwortet. In Finnland und den
Niederlanden sei dies bereits umgesetzt. «Wenn ein Paar Sandalen zwei
Jahre hält, ist das eventuell in Ordnung. Bei einem Fahrrad erwarte
ich da aber schon deutlich mehr.»