Britische Unternehmen bekommen unangenehme Brexit-Folgen zu spüren Von Christoph Meyer und Larissa Schwedes, dpa

08.01.2021 15:37

Der Ausstieg Großbritanniens aus dem Binnenmarkt und der Zollunion
macht Firmen auf der Insel mehr zu schaffen, als es die
optimistischen Äußerungen von Premier Boris Johnson erwarten ließen.

Besonders Fischer in Schottland fürchten um ihre Existenz.

London (dpa) - Fischer, Paketdienste und Modeketten: Gut eine Woche
nach dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der
Zollunion machen sich die Brexit-Folgen bei immer mehr Unternehmen
bemerkbar. Das, obwohl der britische Premierminister Boris Johnson
nach dem Abschluss des nach seinen Worten «fantastischen»
Handelspakts mit der EU versprochen hatte, es werde keinerlei
Handelshemmnisse geben.

Probleme gibt es vor allem für britische Exporteure von Fischen und
Meeresfrüchten, die für ihre Waren nun aufwendige Erklärungen für
Bestimmungen über Zölle und Lebensmittelsicherheit ausfüllen müssen
.
Hinzu kommen Verzögerungen bei der Lieferung der verderblichen Ware,
die größtenteils für den Kontinent bestimmt ist. Für viele ist das

Geschäft damit unrentabel geworden.

John Charles, ein Unternehmer in der Fischverarbeitung aus dem
schottischen Aberdeen, kann seine Kunden in Deutschland nicht mehr
bedienen, wie er der Deutschen Presse-Agentur am Freitag sagte. «Die
Situation ist, dass die Kosten für die Export-Bescheinigungen für
Europa es einem unmöglich machen, als kleiner Exporteur Geschäfte zu
machen», so Charles.

Der für schottische Fischprodukte wichtigste Logistikkonzern DFDS
teilte seinen Kunden am Donnerstagabend mit, der Transport von
Frachtladungen gemischter Produkte werde bis zur kommenden Woche
ausgesetzt. Die Chefin des Verbands Seafood Scotland, Donna Fordyce,
sprach von einem «perfekten Sturm» aus Folgen der Corona-Pandemie und
dem Brexit für die Branche. Viele Unternehmen seien nicht in der
Lage, die erforderlichen Unterlagen auszufüllen. Hinzu kämen Probleme
bei den IT-Systemen und Verwirrung über die neuen Regelungen. «Wir
könnten innerhalb sehr kurzer Zeit die Zerstörung einer
jahrhundertealten Branche sehen, die einen erheblichen Teil der
schottischen Wirtschaft ausmacht», warnte Fordyce der britischen
Nachrichtenagentur PA zufolge.

Auch der Paket-Dienstleister DPD zog am Freitag Konsequenzen und
stellte Lieferungen von Großbritannien auf den europäischen Kontinent
und nach Irland vorübergehend ein. Grund sei die erhöhte Belastung
durch die erforderliche Zollbürokratie, wie das Unternehmen auf
seiner Webseite mitteilte. 20 Prozent der Pakete wurden demnach ohne
ausreichende Zollerklärung abgesendet und müssten an die Absender
zurückgeschickt werden.

Schwierigkeiten gibt es auch für die Textileinzelhändler, deren Waren
häufig in Asien hergestellt werden. Dem an Heiligabend vereinbarten
Handelspakt zufolge fallen für Kleider und Accessoires, die
beispielsweise aus Bangladesch oder Kambodscha stammen, nun Zölle an,
wenn sie von Großbritannien aus in die Europäische Union geliefert
werden. Nur Waren, die in Großbritannien weiterverarbeitet oder
veredelt wurden, dürfen zollfrei ins EU-Zollgebiet eingeführt werden.
Die Regeln dazu sind komplex und von Warengruppe zu Warengruppe
unterschiedlich.

Der Handelsexperte William Bain vom britischen Einzelhandelsverband
BRS (British Retail Consortium) teilte mit, 50 Mitgliedsunternehmen
seien von möglichen Zöllen bei den sogenannten Reexporten in die EU
betroffen. «Wir arbeiten mit Mitgliedern an kurzfristigen Optionen
und suchen den Dialog mit der Regierung und der EU für langfristige
Lösungen, um den Effekt neuer Zölle abzufedern.»

Die Unternehmen John Lewis und TKMaxx stellten Lieferungen nach
Nordirland vorübergehend ein. Das Warenhaus Debenhams nahm seinen
Online-Shop für Irland vom Netz. «Es tut uns leid, aber wir sind
derzeit nicht in der Lage, Bestellungen von der Republik Irland
auszuliefern wegen Unsicherheit über die Handelsbestimmungen nach dem
Brexit», hieß es zur Begründung.

Auch in Deutschland reagierten Unternehmen auf die neue Situation.
Einer Umfrage des Außenhandelsverbandes BGA zufolge, auf die 500
Unternehmen antworteten, haben 20 Prozent der Firmen britische
Lieferanten aus den Lieferketten entfernt. Die Umfrage fand Mitte
Dezember statt.

In Nordirland hat besonders der Lebensmittelhandel mit den
Brexit-Folgen zu kämpfen. «Die Menschen hier beschweren sich über
leere Regale in den Supermärkten», sagte die nordirische
Konfliktforscherin und Brexit-Expertin Katy Hayward von der Queen's
University Belfast der Deutschen Presse-Agentur. Insbesondere bei
frischen Produkten komme es zu Störungen der Lieferketten. Firmen
seien unsicher, welche Formulare bei der Einfuhr notwendig sind.

Nach dem Brexit gelten für Nordirland spezielle Regeln, die im
Nordirland-Protokoll festgehalten sind. Damit wird eine harte
EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland vermieden, da durch
eine solche das Aufflammen alter Konflikte in Nordirland befürchtet
wird. Die Provinz ist damit enger an die EU gebunden als der Rest des
Königreichs und folgt weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts.