Astrazeneca beantragt EMA-Zulassung - Neue Debatte über Impfpflicht

12.01.2021 12:15

Die Impfstoff-Knappheit könnte in der EU schon in wenigen Wochen
nachlassen, auch dank eines dritten Impfstoff-Herstellers. Dennoch
kein guter Zeitpunkt für eine Impfpflicht-Debatte, meinen einige
Politiker - und kritisieren Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder.

Berlin (dpa) - Der schwedisch-britische Pharmakonzern Astrazeneca hat
die Zulassung seines Corona-Impfstoffes bei der Europäischen
Arzneimittelbehörde EMA beantragt. Der Impfstoff könnte nach
Einschätzung der EU-Kommission Ende Januar zugelassen werden und wäre
damit nach den Wirkstoffen von Biontech/Pifzer und Moderna das dritte
in der EU eingesetzte Vakzin. Während die Verteilung des
Moderna-Impfstoffs an die Bundesländer am Dienstag anlaufen sollte,
sorgte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit
Äußerungen über eine mögliche Impfpflicht für Pflegekräfte in A
lten-
und Pflegeheimen für Furore.

Die Bewertung des Astrazeneca-Stoffs wird laut Mitteilung der EMA vom
Dienstag «in einem beschleunigten Zeitrahmen» erfolgen. Die
EU-Kommission hat bis zu 400 Millionen Dosen des Mittels für die 27
Mitgliedstaaten bestellt. Davon sollen 56 Millionen Dosen nach
Deutschland gehen. Großbritannien setzt den Impfstoff bereits seit
gut einer Woche ein.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Ankündigun
g
als gute Nachricht. Die EMA werde die Sicherheit und Wirksamkeit
beurteilen. «Sobald der Impfstoff eine positive wissenschaftliche
Beurteilung erhält, werden wir mit vollem Tempo daran arbeiten, die
Nutzung in Europa zuzulassen», schrieb von der Leyen auf Twitter.

Astrazeneca könnte «möglicherweise bis zum Ende des Monats eine
Zulassung haben», sagte die für Gesundheit zuständige
Generaldirektorin der Kommission, Sandra Gallina, in einer Anhörung
im EU-Parlament. Der 29. Januar könnte der Tag der Genehmigung sein.
Doch sei die EMA unabhängig in ihrer Bewertung. Die Knappheit bei
Corona-Impfstoffen dürfte demnach in wenigen Wochen nachlassen. «Im
zweiten Quartal werden wir alle Impfstoffe bekommen, die wir haben
wollen», sagte Gallina.

Der Konzern Astrazeneca entwickelte das Vakzin gemeinsam mit der
renommierten britischen Universität Oxford. Anders als die Impfstoffe
der Mainzer Firma Biontech und des Pharmakonzerns Pfizer sowie der
US-Firma Moderna gehört das britisch-schwedische Präparat nicht zu
den sogenannten mRNA-Impfstoffen.

Der vielversprechende Wirkstoff AZD1222 beruht auf der abgeschwächten
Version eines Erkältungsvirus von Schimpansen. Es enthält genetisches
Material eines Oberflächenproteins, mit dem der Erreger Sars-CoV-2 an
menschliche Zellen andockt. Ein großer Vorteil des Impfstoffes ist,
dass man ihn den Angaben zufolge bei Kühlschranktemperaturen von zwei
bis acht Grad aufbewahren kann. Außerdem ist das Mittel Berichten
zufolge viel preiswerter als die von Biontech oder Moderna.

Der Corona-Impfstoff des US-Herstellers Moderna sollte laut
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch am Dienstag an die
Bundesländer gehen. Dann könnten die Impfzentren beginnen, auch
dieses Präparat zu impfen, kündigte der CDU-Politiker am Montag im
ZDF an. Bis Ende des Quartals rechne er mit zwei Millionen Dosen von
Moderna für Deutschland, im Laufe des Jahres mit 50 Millionen Dosen.

Unterdessen sorgte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder
(CSU) mit einer Äußerung zu einer möglichen Impfpflicht für bestimm
te
Berufsgruppen für Diskussionen. «Wir müssen uns überlegen, ob wir f
ür
die besonders hochsensiblen Bereiche, das sind die Alten- und
Pflegeheime, den Schutz besonders erhöhen», sagte Söder am
Dienstagmorgen im ZDF-«Morgenmagazin». Der deutsche Ethikrat solle
sich mit der Frage beschäftigen. Zuvor hatte sich der CSU-Chef
bereits in der «Süddeutschen Zeitung» (Dienstag) entsprechend
geäußert.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnte eine solche
Impfpflicht für Pflegekräfte ab. «Im Moment über eine Impfpflicht z
u
spekulieren, verbietet sich», sagte Heil am Dienstagmorgen in der
Sendung «Frühstart» von RTL und ntv. Die bisherige Entscheidung gegen

eine Impfpflicht halte er für richtig. Auch Friedrich Merz, Kandidat
für den CDU-Vorsitz, äußerte sich ablehnend. «Ich bin kein Freund
einer Impfpflicht», sagte Merz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
(RND). Eine «deutliche Empfehlung» für eine Impfung sei sinnvoll.

Aus Sicht des Deutschen Städtetags kommt die Debatte zu früh. Der
Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte im

SWR2-«Tagesgespräch», man habe noch nicht alle Möglichkeiten
ausgereizt, um Überzeugungsarbeit zu leisten. «Und jetzt zu sagen,
wir können euch nicht überzeugen, also zwingen wir euch - das kommt
mir ein bisschen früh», sagte Dedy. Auch die Stiftung Patientenschutz
lehnte eine solche Debatte ab. «Das spielt den Impfgegnern und
Skeptikern in die Hände», sagte der Vorstand Eugen Brysch dem RND.

Am Dienstag meldeten die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut
(RKI) 12 802 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Außerdem
wurden 891 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet, wie
das RKI am Dienstagmorgen bekanntgab. Die Interpretation der Daten
ist weiterhin schwierig, weil um Weihnachten und den Jahreswechsel
herum Corona-Fälle laut RKI verzögert entdeckt, erfasst und
übermittelt wurden.