Söder will Impfpflicht diskutieren - Breite Kritik

12.01.2021 15:16

Viele Beschäftigte in Pflegeheimen wollen sich nicht impfen lassen,
zu viele, findet Bayerns Ministerpräsident Söder. Er regt an, über
eine Impfpflicht nachzudenken - und erntet viel Widerspruch.

Berlin (dpa) - Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat ein
e
Debatte über eine Impfpflicht für Pflegepersonal in Heimen angestoßen

- und auf breiter Front Kritik geerntet. Der Koalitionspartner SPD
widersprach ihm ebenso wie die Opposition, Patientenschützer und
Gewerkschaften. «Die Impfung muss freiwillig sein; eine Impfpflicht
für bestimmte Berufsgruppen darf es nicht geben», sagte Verdi-Chef
Frank Werneke.

Bisher hatte die Politik eine Pflicht zur Corona-Impfung strikt
ausgeschlossen. Söder sagte nun, wenn man höre und lese, dass sich
wenige Pflegekräfte impfen lassen wollten, müsse man darüber
diskutieren. Der Ethikrat müsse sich mit der Frage beschäftigen. «Wir

müssen uns überlegen, ob wir für die besonders hochsensiblen
Bereiche, das sind die Alten- und Pflegeheime, den Schutz besonders
erhöhen», sagte der CSU-Chef am Dienstag im ZDF-«Morgenmagazin».
Zuvor hatte er sich bereits in der «Süddeutschen Zeitung»
(Dienstag) so geäußert.

Die SPD im Bundestag wies den Vorstoß zurück. «Unser Ziel ist es,
Menschen zu überzeugen. Eine Impfpflicht lehnen wir ab», sagte
SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas am Dienstag. Bundesarbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) sagte, er halte die bisherige Entscheidung gegen
eine Impfpflicht für richtig. «Im Moment über eine Impfpflicht zu
spekulieren, verbietet sich», sagte Heil in der RTL/ntv-Sendung
«Frühstart».

Auch Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, äußerte sich so.
«Ich bin kein Freund einer Impfpflicht», sagte er dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland und plädierte für eine «deutliche
Empfehlung» für eine Impfung.

Auch Politiker der Opposition kritisierten Söder.
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth sagte «MDR Aktuell», sie halte

nichts davon. «Das ist immer wieder auch von Frau Merkel gesagt
worden: Es soll keine Impfpflicht geben.» Baden-Württembergs
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte, man habe
sich die ganze Zeit dagegen ausgesprochen. «Das ändern wir jetzt
nicht mittendrin», sagte er in Stuttgart. Linksfraktionschef Dietmar
Bartsch sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: «Wir haben weiter vo
r
Ort zu wenig Impfstoff, das ist unser Problem. Der implizite Vorwurf,
der dem Pflegepersonal mit der Impfpflichtdebatte gemacht wird,
versucht Verantwortung zu verschieben.»

Der Deutsche Pflegerat nannte Söders Vorstoß «das völlig falsche
Signal». Pflegende hätten in der Pandemie bewiesen, dass sie über das

Zumutbare hinaus arbeiten, und das seit Monaten, mit vorerst wenig
Aussicht auf baldige Verbesserung der Lage, erklärte Präsident Franz
Wagner in der «Rheinischen Post» (Mittwoch). «Wenn jemand tatsächli
ch
Bedenken wegen der Impfung hat, braucht es erstmal gute, auf die
Zielgruppe zugeschnittene Informationen, um diese aufzufangen.»

Verdi-Chef Werneke rief Beschäftigte dazu auf, sich impfen zu lassen.
«Nach Abwägung aller Chancen und Risiken ist es schon aus Gründen des

Selbstschutzes und des Schutzes der Angehörigen angeraten, sich
impfen zu lassen, sofern nicht ernste gesundheitliche Gründe dagegen
sprechen», sagte er.

Söder kündigte unterdessen am Dienstag an, dass in Bayern ab der
kommenden Woche eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken im
öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel gilt. Die «normalen
Community-Masken» dienten in der Corona-Pandemie dem Schutz anderer,
sagte Söder. FFP2-Masken schützten auch die Träger selbst. Ziel sei
es, die Sicherheit im Nahverkehr und im Handel zu verbessern. «Die
Verfügbarkeit im Handel ist ausreichend gewährleistet, also es gibt
keine Mangelware FFP2», betonte der Ministerpräsident.

Insgesamt sprach Söder angesichts etwas zurückgehender Corona-Zahlen
von einer «verhalten positiven Tendenz». «Ein Großteil der Maßnah
men
beginnt zu wirken.»

Hoffnung machte am Dienstag auch die Meldung, dass der
schwedisch-britische Pharmakonzern Astrazeneca die Zulassung seines
Corona-Impfstoffs bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA
beantragt hat. Der Impfstoff könnte nach Einschätzung der
EU-Kommission Ende Januar zugelassen werden und wäre damit nach den
Wirkstoffen von Biontech/Pifzer und Moderna das dritte in der
EU eingesetzte Vakzin.

Die EU-Kommission hat bis zu 400 Millionen Dosen des Mittels für die
27 Mitgliedstaaten bestellt. Davon sollen 56 Millionen Dosen nach
Deutschland gehen. Großbritannien setzt den Impfstoff bereits seit
gut einer Woche ein. Das Astrazeneca-Vakzin soll nach den ersten
Studiendaten im Mittel einen 70-prozentigen Schutz vor Covid-19
bieten. Bei spezieller Dosierung könnte die Wirksamkeit dem Konzern
zufolge womöglich noch deutlich höher liegen.

Am Dienstag meldeten die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut
(RKI) 12 802 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Außerdem
wurden 891 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet, wie
das RKI am Dienstagmorgen bekanntgab. Die Interpretation der Daten
ist weiter schwierig, weil über die Feiertage Corona-Fälle laut RKI
verzögert entdeckt, erfasst und übermittelt wurden.