Nach fünf Jahren Pause: Ankara und Athen verhandeln über Erdgasstreit

25.01.2021 19:39

Im Sommer 2020 wäre der Erdgasstreit zwischen den Nato-Partnern
Griechenland und Türkei fast eskaliert. Doch nun sitzen Delegationen
beider Länder wieder an einem Tisch. Was lässt das erwarten?

Istanbul (dpa) - Nach fünfjähriger Pause haben Griechenland und die
Türkei wieder Sondierungsgespräche zur Beilegung des Erdgasstreits im
östlichen Mittelmeer aufgenommen. Die inzwischen 61. Runde der
Gespräche zwischen den Delegationen beider Länder fand am Montag im
Dolmabahce-Palast in Istanbul statt, wie der staatliche
Nachrichtensender TRT berichtete.

Zwischen den beiden Nachbarländern schwelt seit langem ein Konflikt
um Erdgas. Im vergangenen Jahr wäre er fast militärisch eskaliert.
Das EU-Mitglied Griechenland wirft der Türkei vor, in Meeresgebieten
nach Erdgas zu suchen, die nach internationalem Seerecht nur von
Griechenland ausgebeutet werden dürften. Nach Lesart Ankaras gehören
diese Gebiete jedoch zum türkischen Festlandsockel.

Als Reaktion auf die aktuellen Bemühungen um Entspannung verkündete
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), die geplanten neuen
EU-Sanktionen gegen die Türkei würden zunächst nicht verhängt. «W
ir
haben heute keine Sanktionen gegen die Türkei beschlossen, weil wir
sehen, dass es eine positive Entwicklung gibt», sagte Maas nach
Beratungen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel. Die Entwicklungen
sollten nun nicht durch Sanktionsentscheidungen belastet werden.

Die Staats- und Regierungschefs hatten ursprünglich im Dezember
beschlossen, wegen nicht genehmigter türkischer Erdgaserkundungen vor
Zypern weitere Strafmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Einem
Gipfelbeschluss zufolge wird beim nächsten regulären EU-Gipfel am 25.
und 26. März erneut über die Beziehungen der EU zur Türkei beraten.

Günter Seufert, Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien
(CATS) in Berlin, sagte, es sei positiv zu bewerten, dass beide
Seiten miteinander redeten. Schnelle Ergebnisse erwarte er aber
nicht, Athen und Ankara sei daran gelegen, Zeit zu gewinnen. «Die
Türkei fühlt sich in der Außenpolitik, was die Westanbindung
betrifft, auf dem Prüfstand und kann es sich im Augenblick nicht
leisten, zu eskalieren», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Erdogan hatte zuletzt immer wieder betont, die Beziehungen mit der EU
verbessern zu wollen. Unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden
könnten zudem weitere Sanktionen der USA gegen die Türkei drohen, so
Seufert. Die US-Regierung hatte im Dezember Sanktionen gegen den
Nato-Verbündeten Türkei wegen des Einsatzes eines russischen
Raketenabwehrsystems verhängt.

Griechenland wiederum wolle Zeit gewinnen, weil das Land auf eine
härtere Linie gegen die Türkei von Seiten der EU hoffe, sagte
Seufert. Athen wolle außerdem die eigene Verteidigungsfähigkeit
erhöhen. «Griechenland arbeitet daran, letzten Endes der Türkei auch

auf dem militärischen Feld stärker gegenübertreten zu können.»

Erste Sondierungsgespräche zwischen Ankara und Athen wurden im
Februar 2002 geführt - die bislang letzten 2016. Traditionell geben
beide Seiten offiziell nichts von Stand und Entwicklung der Gespräche
preis. Die aktuelle türkische Delegation leiten TRT zufolge der
Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin und der stellvertretende Außenminister
Sedat Önal, die griechische der Diplomat Pavlos Apostolidis. Das
nächste Treffen werde in Athen stattfinden, berichtete die türkische
staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Ein Datum wurde zunächst nicht
genannt.

Geht es nach Ankara, sollen alle strittigen Themen auf den Tisch
kommen, darunter die jeweiligen Hoheitsgebiete und Ausschließlichen
Wirtschaftszonen (AWZ) in der Ägäis sowie die Entmilitarisierung
griechischer Inseln vor der türkischen Küste und Differenzen über die

jeweilige Ausdehnung des Luftraums. Athen hingegen will
ausschließlich den Erdgaskonflikt besprechen.

«Als stärkere Konfliktpartei will Ankara die Gespräche also auf die
politische Ebene heben, wo es seine Macht ausspielen kann», sagte
Seufert. «Bei der maritimen Grenzziehung werden beide Seiten
nachgeben müssen.» Bei den anderen Themen könne Griechenland nur
verlieren, «weil der bisherige Status quo in seinem Interesse ist».