EU-Kommission startet wegen NGO-Gesetz neues Verfahren gegen Ungarn

18.02.2021 12:19

Vor gut einem halben Jahr erklärte das höchste EU-Gericht das
ungarische NGO-Gesetz für rechtswidrig. Doch Budapest ist bislang
nicht aktiv geworden. Nun verliert die EU-Kommission die Geduld.

Brüssel (dpa) - Ungarn widersetzt sich nach Ansicht der EU-Kommission
einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Umgang mit
Nichtregierungsorganisationen. Deshalb leitete die Brüsseler Behörde
am Donnerstag ein neues Verfahren gegen Ungarn ein. Lenkt die
rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban nicht
ein, drohen dem Land hohe Geldstrafen.

«Der Europäische Gerichtshof war deutlich - die von der ungarischen
Regierung verhängten Einschränkungen für die Finanzierung von
Organisationen der Zivilgesellschaft sind nicht in Einklang mit
EU-Recht», sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova. Deshalb mache man
nun diesen «entschiedenen Schritt». NGOs seien ein unverzichtbarer
Teil unserer Demokratien. «Wir müssen sie unterstützen, nicht
bekämpfen.» Die EU-Kommission überwacht in der Staatengemeinschaft
die Einhaltung von EU-Recht.

Ungarn müsse nun innerhalb von zwei Monaten alle erforderlichen
Maßnahmen umsetzen, um dem EuGH-Urteil vom Juni zu entsprechen,
forderte die Brüsseler Behörde. Andernfalls könnte sie den Fall
erneut vor das höchste EU-Gericht bringen und finanzielle Sanktionen
fordern. Das neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ist auch
ein Zeichen dafür, dass die EU-Kommission die Geduld mit dem
mitteleuropäischen Land verliert. Die EU-Kommission klagte in den
vergangenen Jahren mehrfach erfolgreich gegen Ungarn vor dem EuGH,
häufig ging es um die Asyl- und Migrationspolitik.

Das nun betroffene NGO-Gesetz wurde 2017 verabschiedet. Es sieht vor,
dass sich NGOs, die Spenden aus dem Ausland erhalten, ab einem
Schwellenwert bei den ungarischen Behörden registrieren lassen
müssen. Die Informationen werden online veröffentlicht. Zudem müssen

die NGOs auf ihrer Webseite und in anderen Veröffentlichungen
angeben, sie seien eine «aus dem Ausland unterstützte Organisation».

Kritikern zufolge ist das Gesetz auf den US-Investor und Großspender
George Soros zugeschnitten. Orban führt seit Jahren Kampagnen gegen
den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden und greift dabei auf
antisemitische Stereotypen zurück.

Um unter das NGO-Gesetz zu fallen, muss eine Organisation mehr als
7,2 Millionen Forint (etwa 20 500 Euro) im Jahr aus dem Ausland
erhalten. Zudem muss sie bei der Registrierung die Anzahl der Spender
angeben, deren Unterstützung 500 000 Forint (etwa 1500 Euro)
übersteigt.

Viele NGOs, die unter diese Bestimmungen fallen, weigern sich, sie
auf sich anzuwenden, weil sie das Gesetz für verfassungswidrig
halten. Bislang wurde keine von ihnen mit einer Strafe belangt.
Allerdings wurde einer NGO im Bildungsbereich eine EU-Förderung
vorenthalten, deren Auszahlung eine staatliche Stelle abwickelt.
Diese hatte bereits nach dem EuGH-Urteil verlangt, dass die
Organisation eine Erklärung abgibt, ob sie unter das NGO-Gesetz
falle. Die NGO hatte dies unter Verweis auf ihre Ablehnung des
NGO-Gesetzes nicht getan.

Der EuGH hatte im Juni befunden, dass die Regeln diskriminierend
seien und die betroffenen Organisationen, aber auch die Spender
ungerechtfertigt einschränkten. Dies verstoße unter anderem gegen den
Grundsatz des freien Kapitalverkehrs. Ebenso verletze es unter
anderem die Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz
personenbezogener Daten.