EU bringt im Fall Nawalny weitere Russland-Sanktionen auf den Weg Von Ansgar Haase, dpa

22.02.2021 19:48

Die Forderungen der EU nach sofortiger Freilassung des Kremlkritikers
Alexej Nawalny zeigen bislang keine Wirkung. Nun ziehen die
Außenminister Konsequenzen.

Brüssel (dpa) - Die EU hat wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers
Alexej Nawalny neue Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die
Außenminister der Mitgliedstaaten einigten sich am Montag bei einem
Treffen in Brüssel darauf, mit den notwendigen Vorbereitungen zu
beginnen. «Ich gehe davon aus, dass das jetzt sehr zügig über die
Bühne geht», erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas im Anschluss a
n
die Beratungen. EU-Chefdiplomat Josep Borrell sagte, er hoffe auf
einen offiziellen Beschluss innerhalb einer Woche.

Zur Verhängung der Strafmaßnahmen wird nach Angaben von Maas und
Borrell erstmals ein neues, im vergangenen Jahr geschaffenes
EU-Sanktionsinstrument genutzt. Dieses ermöglicht es, in der EU
vorhandene Vermögenswerte von Akteuren einzufrieren, die
schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen oder davon
profitieren. Zudem würden unter anderem EU-Einreiseverbote verhängt.

«Wir haben schon bei der Vergiftung von Nawalny deutlich gemacht,
dass wir nicht bereit sind, den Bruch internationalen Rechts zu
akzeptieren, und haben Sanktionen verhängt», erklärte Maas . Auch die

neuen Sanktionen sollten nun ein Zeichen sein, dass die EU gewisse
Dinge nicht tatenlos akzeptiere.

Zugleich betonte der SPD-Politiker die Notwendigkeit, mit Moskau im
Dialog zu bleiben - auch wenn man «sicherlich an einem Tiefpunkt» in
den Beziehungen angelangt sei. «Wir brauchen Russland, um viele
internationale Konflikte beizulegen», sagte Maas.

Als mögliche Betroffene der neuen Sanktionen gelten
Generalstaatsanwalt Igor Krasnow und Ermittlungskomitee-Chef
Alexander Bastrykin. Zudem werden auch die Namen des Chefs des
Gefängnisdienstes, Alexander Kalaschnikow, sowie des Leiters der
Nationalgarde, Viktor Solotow, genannt.

Forderungen nach Vermögenssperren gegen Oligarchen und andere
vermögende Unterstützer von Kremlchef Wladimir Putin würden damit
vorerst nicht umgesetzt. Als ein Grund gilt, dass sie einer
Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof nicht standhalten
könnten.

Im Fall Nawalny fordert die EU seit nunmehr rund drei Wochen
erfolglos die Freilassung des Kremlkritikers. Moskau weist dies als
Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Der 44-Jährige wurde
Anfang Februar in Moskau verurteilt, weil er aus Sicht der Richterin
mehrfach gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren
von 2014 wegen Betrugs und Veruntreuung von Geldern verstoßen hatte.

In einem Berufungsverfahren bestätigte die Justiz am vergangenen
Samstag die verhängte Straflagerhaft. Ebenfalls am Samstag wurde
Nawalny dann noch zu einer Geldbuße verurteilt, weil er einen
Weltkriegsveteranen beleidigt haben soll.

Der Oppositionspolitiker hatte sich im Januar zur Rückkehr in seine
Heimat entschieden, obwohl er dort Opfer eines Anschlags mit dem als
Chemiewaffe verbotenen Nervengift Nowitschok geworden war. Er wurde
dann bei seiner Ankunft festgenommen.

Wegen des Anschlags auf Nawalny, der danach in Deutschland behandelt
wurde, verhängte die EU bereits im vergangenen Jahr Einreise- und
Vermögenssperren gegen mutmaßliche Verantwortliche aus dem Umfeld von
Präsident Wladimir Putin. In Brüssel wird davon ausgegangen, dass
staatliche Stellen in Russland hinter dem Attentat stehen.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn äußerte am Montag die Sorge,

dass der Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen der EU und Russland
noch nicht erreicht sein könnte. Der russische Außenminister Sergej
Lawrow habe indirekt gesagt, dass Russland einen Abbruch der
Beziehungen zur EU erwäge, erklärte Asselborn. «Es geht also tief.»


Für diese Sicht sprechen auch Äußerungen von Russlands EU-Botschafter

Wladimir Tschischow, der die EU vor neuen Sanktionen gegen sein Land
warnte. «Wenn und falls das passiert, werden wir vorbereitet sein zu
antworten», sagte er der «Welt» (Montag). Er warf der EU vor, ihre
Entscheidungen auf Grundlage von Vermutungen und Emotionen zu
treffen. Der Chef des Auswärtigen Ausschuss der Staatsduma, Leonid
Sluzki, drohte der EU der Agentur Interfax zufolge mit Konsequenzen.
Er warf Brüssel vor, einen Dialog mit Moskau konsequent abzulehnen.

EU-Chefdiplomat Borrell sagte am Montagabend, man müsse nun sehen,
wie eine permanente Konfrontation mit einem Russland vermieden werden
könne, das sich leider entschieden habe, als Gegner aufzutreten. Die
Außenminister seien sich einig in der Einschätzung, dass sich
Russland in Richtung eines autoritären Staates und weg von Europa
entwickele, erklärte der Spanier.