Gutachten: Klage gegen deutschen Verlag in Polen könnte zulässig sein

23.02.2021 14:16

Luxemburg (dpa) - Im Rechtsstreit zwischen einem polnischen
Überlebenden des NS-Konzentrationslagers Auschwitz und dem
Mittelbayerischen Verlag könnte nach Ansicht eines Gutachters des
Europäischen Gerichtshofs eine Klage in Polen zulässig sein.
EuGH-Generalanwalt Michal Bobek stellte am Dienstag in seinem
Gutachten klar, dass der Betroffene des mutmaßlich verletzenden
Inhalts im Internet nicht zwingend namentlich im fraglichen Text
genannt werde müsse. Zugleich sei es für den Verlag vorhersehbar
gewesen, dass sich auch in Polen jemand verletzt fühlen könnte.
Darüber müsse ein polnisches Gericht entscheiden (Rechtssache
C-800/19).

Hintergrund ist die Klage eines ehemaligen Gefangenen des
NS-Konzentrationslagers Auschwitz, der in Warschau lebt. Der Mann
hatte den Mittelbayerischen Verlag vor polnischen Gerichten auf
Unterlassung, öffentliche Entschuldigung und Schadenersatz verklagt,
weil in einem Artikel auf «mittelbayerische.de» fälschlich vom
«polnischen Vernichtungslager Treblinka» die Rede war. Nach der
Intervention des polnischen Konsulats in München wurde die
Bezeichnung noch am selben Tag zum «deutschen nationalsozialistischen
Vernichtungslager Treblinka im besetzten Polen» geändert.

Der Kläger macht geltend, die ursprüngliche Bezeichnung habe ihn in
seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, insbesondere in seiner
nationalen Identität und Würde. Der Mittelbayerische Verlag ist
jedoch der Ansicht, dass den polnischen Gerichten die internationale
Zuständigkeit fehle. Der Verlag verweist darauf, dass der Artikel
sich zum einen nicht unmittelbar auf den Kläger beziehe. Zum anderen
weise der Verlag vor allem ein regionales Profil auf und betreibe das
Portal nur auf Deutsch.

Generalanwalt Bobek machte nun klar, dass das polnische Gericht
zuständig sein könnte. Es lasse sich nur schwer vertreten, «dass es
für einen Herausgeber in Deutschland, der die Formulierung
«polnisches Vernichtungslager Treblinka» in das Internet stellt,
vollkommen unvorhersehbar sein soll, dass sich jemand in Polen von
dieser Aussage angegriffen fühlt». Dabei spiele auch eine Rolle, dass
Deutsch außerhalb Deutschlands von vielen Menschen verstanden werde.

Allerdings verweist Bobek auch darauf, dass das polnische Verständnis
von Persönlichkeitsrechten deutlich vom gemeinsamen europäischen
Verständnis dieser Rechte abweicht. Deshalb wäre es aus seiner Sicht
nachvollziehbar, wenn etwa Deutschland ein Urteil in dem Fall nicht
anerkennen würde. Nach polnischem Recht umfassen die
Persönlichkeitsrechte eines Staatsbürgers den Schutz seiner
nationalen Identität und seiner nationalen Würde sowie die Achtung
der unverfälschten Geschichte der polnischen Nation. Das Gutachten
ist für die EuGH-Richter nicht bindend, häufig folgen sie ihm aber.
Ein Urteil dürfte in einigen Monaten fallen.