Denkfabriken: Großbritannien schlecht für Brexit gerüstet

26.02.2021 04:30

Es hakt und hängt im Vereinigten Königreich bei der Umsetzung des
Brexit. Kinderkrankheiten sagen die Befürworter der Abspaltung von
Europa. Experten kommen zu einem ganz anderen Befund.

London (dpa) - Einem Bericht mehrerer britischer Denkfabriken zufolge
sind die Institutionen in Großbritannien auch ein Jahr nach dem
offiziellen EU-Austritt schlecht für den Brexit gerüstet. Das
betreffe beispielsweise den Umweltschutz, den Handel und den Kampf
gegen Kriminalität, heißt es in der Analyse, die am Donnerstagabend
veröffentlicht wurde.

«Das Vereinigte Königreich verfügt nicht über die physische oder
IT-basierte Infrastruktur, um im Rahmen seiner neuen Beziehung mit
der EU Handel zu treiben, und ist auf Übergangsregelungen
angewiesen», so eine der Einschätzungen der Experten von den
Thinktanks EU in a Changing Europe, Centre for Competition Policy und
Brexit and Environment.

In vielen Bereichen, bei denen das Land Kompetenzen von der EU
zurückerhalten habe, seien zudem die Institutionen nicht ausreichend
ausgebildet. Zum Beispiel habe London der Europäischen Umweltagentur
den Rücken gekehrt, aber die britische Behörde für Umweltschutz habe

ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. Das Land verfüge damit derzeit
über keine Institution, die in der Lage sei, die Einhaltung von
Gesetzen zum Umweltschutz durchzusetzen.

Britische Behörden, die ehemalige EU-Aufgaben übernehmen sollten,
seien zudem nicht ausreichend mit Personal, Geld und Kompetenzen
ausgestattet. Polizei und Grenzschutzbehörden müssten auf den Zugang
zu wichtigen Datenbanken verzichten. In einigen Bereichen, wie der
Chemie-Branche und der Luftfahrt sei es noch ein weiter Weg, bis neue
britische Aufsichtsbehörden das Niveau an Expertise ihrer Gegenstücke
in der EU erlangt hätten.

Ebenfalls Sorgen bereiten den Experten Themen, die im Handels- und
Kooperationsabkommen zwischen Brüssel und London ausgespart oder in
die Zukunft verschoben wurden. Bei der Zusammenarbeit in
Energiefragen sei beispielsweise eine Überprüfung vorgesehen. Diese
sei damit verknüpft worden, wie gut die Vereinbarungen beim Thema
Fischerei funktionieren.

Der Report kommt zu dem Schluss, dass Großbritanniens Austritt aus
dem Binnenmarkt und der Zollunion von dem Wunsch angetrieben wurde,
regulatorische Autonomie «um jeden Preis» zu erlangen. Es sei jedoch
unwahrscheinlich, dass das Land sich selbst mittelfristig von
EU-Standards entfernen könne. Großbritannien sei «hochgradig abhäng
ig
vom Handel mit der EU» und von internationalem Recht und Konventionen
eingeschränkt. Brüssel hingegen sei richtungsweisend beim Setzen
globaler Standards. Davon abzuweichen werde wahrscheinlich zu
Nachteilen für britischen Unternehmen führen.

«Der Bericht zeigt, dass die Herausforderungen, mit denen
Großbritannien nach dem Ende der Übergangsphase konfrontiert ist,
nicht vorwiegend Kinderkrankheiten sind», so Professor Hussein Kassim
von UK in a Changing Europe.