Wie Fake News Wahlen manipulieren können Von Marc Fleischmann und Sebastian Fischer, dpa

01.04.2024 06:00

Vor den Wahlen lauert eine Gefahr: Experten warnen vor mehr Fake News
und wie sie die Wahlen beeinflussen können. Zum Internationalen
Faktencheck-Tag stellt sich die Frage: Was bewirkt Desinformation?

Berlin (dpa) - 2024 ist ein Superwahljahr: Neben der
US-Präsidentschaftswahl und dem Urnengang für das Europäische
Parlament stehen in Ostdeutschland drei richtungsweisende
Landtagswahlen an. Nach dem Verfassungsschutz warnt nun auch
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor Versuchen, durch
Desinformationen Einfluss auf anstehende Wahlen zu nehmen.

Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass 81 Prozent der
Deutschen Desinformation im Internet als Bedrohung für die Demokratie
und den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachten. 67 Prozent machen
sich Sorgen, dass Desinformation den Ausgang von Wahlen beeinflussen
könnte. Der Internationale Faktencheck-Tag am Dienstag (2. April)
legt das Augenmerk auf die Reichweite und den Einfluss von
Falsch-Informationen im Netz.

Expertinnen wie Cathleen Berger von der Bertelsmann-Stiftung und Pia
Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas)
warnen vor gezielten Desinformationskampagnen. Berger sieht darin den
Versuch, «demokratische Diskurse zu manipulieren».

Beeinflussung durch halbseidene Umfragen

Ein Beispiel: In regelmäßigen Abständen werden vollkommen unseriöse

Wahlumfragen kolportiert. Im Januar etwa freute sich der
AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard über vermeintliche
Projektionen, wonach sich seine Partei in Baden-Württemberg mit 26
Prozent der Wählerstimmen fast gleichauf mit der CDU befinde. Mitte
März wiederum verbreitet sein bayerischer Parteifreund Andreas
Winhart, dass die AfD angeblich «mit bundesweit 21 Prozent bei den
Zweistimmen nur noch zwei Prozent hinter der CDU» liege.

So werden Umfrage-Höhenflüge suggeriert, die es in echt gar nicht
gibt. Denn die vermeintlichen Werte sind vor allem eins: überhaupt
nicht valide. Hinter ihnen steckt das undurchsichtige Institut
«PrognosUmfragen», das seine Methodik und Finanzierung nicht
transparent macht. Bei seriösen und anerkannten Instituten wie
Infratest dimap oder Forsa liegt die AfD in beiden genannten Fällen
mit großem Abstand hinter der CDU.

Starke Rechte befeuert Ausbreitung der Desinformation

Gerade das Erstarken der extremen Rechten in weiten Teilen Europas
macht nach Lambertys Ansicht die Gesellschaft empfänglicher für
Desinformation. Die Co-Geschäftsführerin von Cemas, das
Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz
untersucht, erwartet solche Versuche auch aus dem Ausland wie
Russland.

Das Bundesinnenministerium (BMI) sieht auch Deutschland im Fadenkreuz
russischer Einflussaktivitäten, die vor allem darauf abzielten,
«Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Kompetenz europäischer
Institutionen zu untergraben und vorhandene Spaltungspotenziale in
der Gesellschaft zu vertiefen», so eine Sprecherin. Aktuell steht die
prorussische Seite «Voice of Europe» im Fokus, gegen deren Betreiber
die tschechische Regierung Sanktionen verhängte. Das Portal hatte
unter anderem Interviews mit den Politikern Maximilian Krah und Petr
Bystron verbreitet, die Platz eins und zwei auf der AfD-Liste zur
Europawahl einnehmen.

Falschbehauptungen können sich lange im Netz halten

Desinformationskampagnen sind dabei alles andere als Schnellschüsse.
Sie «bereiten in der Regel über längere Zeiträume hinweg einen
Nährboden», erklärt Expertin Berger - und veranschaulicht das: Bevor

es zum Anzweifeln von Wahlergebnissen komme, würden gesellschaftlich
kontroverse Themen wie Klimakrise, Krieg oder Genderidentitäten über
Extrempositionen emotionalisiert.

So ist zum Beispiel seit Jahren in sozialen Medien die krude
Falschbehauptung nicht tot zubekommen, die Grünen planten ein
generelles Verbot von Hunden, Katzen und anderen Haustieren, um das
Klima zu schützen. Dieser Fake waberte bereits vor der letzten
Bundestagswahl 2021 durch die dunklen Echo-Räume.

Besorgniserregend ist, dass viele anfällig für Manipulationen sind.
Nach einer Erhebung der Initiative D21, eines Netzwerks für die
digitale Gesellschaft, kann fast ein Drittel der Befragten mit dem
Begriff Desinformation wenig anfangen - oder kennt ihn gar nicht.
«Dann werden Wissenslücken mit eigenen Haltungen und Ideologien
gefüllt», erklärt Lamberty.

Kandidaten streuen teils selbst Falschnachrichten

Beispiele wie der Wahlkampf von Jair Bolsonaro in Brasilien oder von
Donald Trump in den USA zeigen, dass das Vertrauen in demokratische
Prozesse besonders dann geschwächt wird, wenn die Kandidaten selbst
Misstrauen säen. Dass Trumps Lügen über vermeintliche Wahlfälschung
en
konkrete Folgen haben, zeigt der gewalttätige Sturm auf das Kapitol
im Januar 2021. Für einen solchen Schaden hat Desinformation
hierzulande bislang nicht gesorgt. Dennoch geht Lamberty davon aus,
dass solche Erzählungen in einzelnen Milieus «ihren Beitrag zur
Radikalisierung leisten». 

So haben bei vergangenen Wahlen Verschwörungsideologen und
Rechtsradikale versucht, Behauptungen zu einem weitreichenden
Wahlbetrug zu verbreiten - teils auch mithilfe von AfD-Politikern.
Geraunt wird viel: Briefwahlunterlagen würden ungefragt an
Wahlberechtigte verschickt; Wahlzettel gingen auf dem Postweg
vorsätzlich verloren; in einer Ecke gelochte Wahlzettel seien
ungültig. Alles gelogen. Doch die Botschaft dahinter an die Anhänger:
Die Wahlen in Deutschland sind nicht vertrauenswürdig.

So kamen etwa bei der Landratswahl im brandenburgischen Landkreis
Oder-Spree im Mai 2023 wieder einmal an den Haaren herbeigezogene
Vorwürfe der Manipulation durch Briefwahl auf - vor allem, weil sich
der SPD-Kandidat wegen der postalisch übermittelten Stimmen gegen den
AfD-Konkurrenten durchsetzte. Letzterer hatte in den Wahllokalen
knapp die Nase vorn. Die Wahrheit: Dem Kreiswahlleiter wurde bei der
Abstimmung keine einzige Unregelmäßigkeit angezeigt.

Dass eine solche Einflussnahme unsere Demokratie in ihren Grundfesten
ins Wanken bringt, verneint Expertin Berger. Die Zersetzung unserer
politischen Ordnung sei aber «kein Prozess, der von heute auf morgen
stattfindet», sagt Lamberty. «Propaganda wirkt oft eher langfristig,
schleichend - und gerade das macht es so gefährlich.»

Nach Recherchen des Portals «t-online» will die Bundesregierung
gemeinsam mit Frankreich und Polen «ein Frühwarn- und
Reaktionssystem» einrichten, das einen Blick auf
Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland hat.
Besonders «in Zeiten, in denen ausländische Akteure versuchen, die
Grundwerte der liberalen Demokratien Europas zu unterminieren», sei
der europäische Zusammenhalt wichtig, zitiert «t-online» das
Auswärtige Amt.