Aufklärung russischer Einflussnahme: Nur «Spitze des Eisbergs»?

05.04.2024 12:11

Haben europäische Politiker Geld vom Kreml und seinen Helfershelfern
genommen? Und wenn ja, um wie viele Mandatsträger aus welchen Staaten
geht es? Auch der Innenausschuss des Bundestags hat das Thema auf der
Agenda.

Prag/Berlin (dpa) - In der Affäre um eine russische
Desinformationskampagne und mögliche verdeckte Zahlungen aus Russland
an Politiker rechnet EU-Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourova mit
weiteren Enthüllungen. «Ich bin überzeugt davon, dass das, was wir
jetzt wissen, nur die Spitze des Eisbergs ist», sagte die in der
Kommission für Werte und Transparenz zuständige 59-Jährige der
tschechischen Zeitung «Hospodarske noviny» (Freitag). Sie gehe davon
aus, dass es bei Weitem mehr bezahlte Politiker oder Menschen mit
Einfluss in der Gesellschaft gebe, als bisher bekannt sei.

«Wir verfügen selbstverständlich über keinen Apparat, um
festzustellen, wer das ist, aber wir sehen, dass die Geheimdienste
bereit sind, das zu enthüllen und die Öffentlichkeit zu informieren»,

sagte Jourova. «Und das ist gut so.» Zur rechtlichen Bewertung sagte
Jourova, es gebe in den verschiedenen Mitgliedstaaten im Bereich der
nationalen Sicherheit unterschiedlich strenge Gesetze. Dies sei auf
EU-Ebene nicht harmonisiert. «Ob es sich um Korruption handelt,
müssen selbstverständlich die Ermittler und Richter entscheiden»,
betonte die tschechische Politikerin.

Die tschechische Zeitung «Denik N» hatte berichtet, der
AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron stehe im Verdacht, mit der
prorussischen Internetplattform «Voice of Europe» (VoE) in Kontakt
gestanden zu haben, die das Prager Kabinett jüngst auf die nationale
Sanktionsliste gesetzt hatte. Möglicherweise habe er auch Geld
entgegengenommen. Auf der Kabinettssitzung soll Bystrons Name
gefallen sein, wie die Zeitung unter Berufung auf mehrere Minister
berichtete. Ein nicht genanntes Regierungsmitglied sagte demnach
unter Berufung auf den Inlandsgeheimdienst BIS mit Bezug auf Bystron:
«Sie können die Übergabe von Geld als Audio belegen.»

Bystron gehört dem bayrischen AfD-Landesverband an und vertritt die
AfD-Bundestagsfraktion als Obmann im Auswärtigen Ausschuss. Er hat
die Vorwürfe bestritten. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, es
handele sich «um unbewiesene Anschuldigungen und Behauptungen». Und:
«Ich habe mir nichts vorzuwerfen.» In einer Stellungnahme an die
Parteispitze, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sprach er
von einer Diffamierungskampagne und schrieb: «Zu keinem Zeitpunkt
habe ich von einem Mitarbeiter von VoE (oder irgendeinem Russen)
Geldzahlungen oder Kryptowährungen bekommen.»

Vorerst kein Auftrittsverbot für Bystron

Auf die Frage, ob er Bystron aufgrund der gegen ihn erhobenen
Vorwürfe raten würde, vorerst nicht bei öffentlichen
AfD-Veranstaltungen aufzutreten, sagte der Parteivorsitzende Tino
Chrupalla: «Das muss er selbst entscheiden.» Der Co-Vorsitzende, der
die Partei und die AfD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit Alice Weidel
leitet, sagte der dpa, alles Weitere wolle man kommende Woche
entscheiden. Bystron werde am Montagmorgen bei der wöchentlichen
Telefonkonferenz des Bundesvorstandes zugeschaltet, wo er dann alle
noch offenen Fragen beantworten könne. 

Die AfD hatte Bystron im vergangenen Sommer auf Platz zwei ihrer
Kandidatenliste für die Europawahl am 9. Juni gewählt.
Spitzenkandidat ist der Europaabgeordnete Maximilian Krah aus
Sachsen. Er hatte Bystron am Donnerstag geraten, sich zunächst auf
die Aufklärung zu konzentrieren und dazu auf öffentliche Auftritte zu
verzichten. Krah betonte, in seinem Fall behaupte aber nicht einmal
der tschechische Geheimdienst, er habe Geld angenommen. 

Mit der Angelegenheit, an deren Aufklärung Nachrichtendienste
mehrerer europäischer Staaten beteiligt sind, wird sich am kommenden
Mittwoch auch der Innenausschuss des Bundestages beschäftigen. Wie am
Freitag von aus dem Ausschuss verlautete, soll die Bundesregierung
dann über ihre Erkenntnisse zu Voice of Europe und russischen
Desinformationskampagnen in Deutschland berichten.