EU-Transparenzdatenbank zeigt: Online-Netzwerke löschen millionenfach Von Jana Glose, dpa

09.04.2024 10:42

Aus einer neuen Datenbank der EU geht hervor, welche Inhalte
Facebook, Instagram oder TikTok löschen und einschränken. Doch eine
Plattform fällt durch eine besonders niedrige Zahl auf.

Brüssel (dpa) - Kinderpornografie, Hassrede oder Terrorpropaganda:
Mehr als 960 Millionen solcher oder anderer fragwürdiger Inhalte
haben Amazon, Facebook, YouTube, Instagram, Pinterest, TikTok und X
(vormals Twitter) im vergangenen halben Jahr gelöscht oder
eingeschränkt. Das geht aus einer EU-Datenbank hervor, die von der
EU-Kommission geschaffen wurde. Hintergrund ist ein EU-Gesetz über
digitale Dienste (Digital Service Act, DSA), wonach große
Online-Plattformen und Suchmaschinen solche Inhalte schneller löschen
und die Gründe dafür transparent machen müssen.  

Konkret geben die Plattformen in der Datenbank an, welche Inhalte sie
aus welchem Grund gelöscht oder in der Sichtbarkeit eingeschränkt
haben. Die Daten können nach Kategorien wie Hassrede, Gewalt oder
Pornografie gefiltert und ausgewertet werden. Insgesamt waren im
April mehr als 16 Milliarden Einträge von 16 großen Plattformen in
der Datenbank zu finden. Neben großen sozialen Netzwerken müssen auch
Anbieter wie Zalando, Booking.com sowie verschiedene Google-Dienste
gelöschte oder eingeschränkte Inhalte melden. 

Plattformen melden sehr unterschiedlich 

Dabei zeigt sich ein stark unterschiedliches Meldeverhalten der
einzelnen Plattformen. So entfallen mit mehr als 14 Milliarden
Meldungen mit Abstand die meisten auf Google Shopping. Das sind knapp
94 Prozent aller seit Ende September gemeldeten Beiträge. Bei der
Suchmaschine werde sehr umfassend gemeldet, sagt
Kommunikationsforscher Jakob Ohme vom Weizenbaum Institut, der
umfassend zu Desinformation forscht. «Die Kommission hat schon
gesagt, dass sie diesen Überhang korrigieren will.» 

Aber auch sonst zeigen sich Differenzen. Bei der
Social-Media-Plattform TikTok wurden seit der Einführung der
Meldepflicht knapp 508 Millionen Beiträge gemeldet und mehr als 348
Millionen Beiträge gelöscht. Das sind fast 70 Prozent aller von
TikTok gemeldeten Inhalte. Instagram meldete im ersten halben Jahr
rund 19 Millionen Beiträge. Komplett gelöscht wurden davon etwas mehr
als 6,6 Millionen, knapp 35 Prozent. Bei der Online-Plattform X
wurden im gleichen Zeitraum laut Datenbank lediglich etwas mehr als
832 000 Inhalte gemeldet. Gelöscht wurden davon - Stand Anfang April
- nur 24 Beiträge. Bei Facebook wurden bisher mehr als 148 Millionen
Beiträge gemeldet. Davon wurde mit knapp 54 Millionen etwas mehr als
ein Drittel gelöscht. 

Spielraum bei Meldungen für Plattformen 

Für Ohme hat das abweichende Meldeverhalten der Netzwerke mehrere
Gründe: «Erstens: Plattformen sind unterschiedlich aktiv bei der
Inhaltsmoderation. Zweitens: Plattformen nehmen die Meldepflicht
unterschiedlich ernst.» So befinde sich die Plattform X gerade in
einem Umbruch und sei «nicht dafür bekannt, sich an Regulierungen zu
halten, die nicht auch strikt durchgesetzt werden». TikTok wiederum
versuche «eine gute Figur zu machen». 

Verbesserungsbedarf sieht auch Digitalisierung-Expertin Julia
Kloiber, die für das Tech-Think-Tank Superrr Lab arbeitet: «Aktuell
gibt es einiges an Spielraum, was Umfang, Genauigkeit und die
Interpretation der Vorgaben angeht.» Dieser Spielraum erschwere die
Vergleiche zwischen den Diensten. Zudem basiere die Datensammlung nur
auf Selbstauskünften der Plattformen. «Die Unternehmen können in
ihren Transparenzberichten viel behaupten. Wichtig ist, dass es auch
eine gründliche Prüfung der Angaben gibt.»

EU-Kommission untersucht Einhaltung 

Die gibt es laut EU-Kommission. Es liege zwar in der Verantwortung
der Plattformen, alle Entscheidungen zur Inhaltsmoderation
unverzüglich zu übermitteln. Die EU-Kommission könne bei dem Verdacht

eines Verstoßes aber Zugang zu Daten beantragen, um die Einhaltung
der Transparenzvorschriften zu überprüfen, hieß es auf Nachfrage von

der Brüsseler Behörde. Schwankungen bei gemeldeten Inhalten lägen an

verschiedenen Strategien und unterschiedlichen Inhalten auf den
Plattformen. 

Grundsätzlich laufen auf Grundlage des DSA bereits Untersuchungen, ob
sich unter anderem X und Tiktok an die DSA-Vorschriften halten und
genug gegen die Verbreitung illegaler Inhalte tun. Eine Entscheidung
und damit auch mögliche Strafen gibt es aber bisher nicht. Sollte die
Kommission zu dem endgültigen Schluss kommen, dass Anbieter gegen den
DSA verstoßen, können Geldbußen von bis zu sechs Prozent des
weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden.

Wichtige Entscheidungen für Demokratie und Gesellschaft 

Kloiber bewertet die Datenbank insgesamt als «wichtigen Meilenstein»,
der «Licht in die Black Box der online Dienste» bringt. «Wir haben in

den letzten Jahren gesehen, welche Auswirkungen die Moderation von
Inhalten auf unsere Demokratie und Gesellschaft hat - im Vorfeld von
Wahlen muss sichergestellt werden, dass Desinformation und gemeldete
Inhalte gut und schnell moderiert werden», fordert Kloiber. Auch bei
der anstehenden Europawahl vom 6. bis 9. Juni 2024 ist die
Beeinflussung auf Online-Plattformen eine Gefahr, wie das Europäische
Parlament bereits im vergangenen Jahr warnte. 

Kloiber wünscht sich, «dass durch die Transparenz ein Wetteifern
zwischen den Plattformen beginnt, welche Plattform die höchsten
Standards und die beste Qualität bei der Moderation von Inhalten
hat.» Ohme hofft, «dass in einem Jahr schon eine genauere und auch
besser durchgesetzte Datenlage existiert, die weitere Analysen und
Aussagen erlaubt».

Klar ist, dass die Datenmenge künftig weiter wachsen wird. Seit 17.
Februar müssen alle Anbieter von Online-Plattformen, Suchmaschinen
und Online-Diensten mit Ausnahme kleiner Unternehmen Daten über ihre
Entscheidungen zur Inhaltsmoderation vorlegen. Noch fließen diese
Daten nicht in die Transparenzdatenbank. Doch auch diese sollen nach
den Plänen der EU-Kommission künftig auf der Website der
DSA-Transparenzdatenbank verfügbar sein, wenn die technischen
Voraussetzungen geschaffen seien, sagte ein Kommissionssprecher.