Debakel für von der Leyen: Parteifreund sagt nach Kritik für Topjob ab Von Ansgar Haase, dpa

16.04.2024 15:44

Der CDU-Politiker Markus Pieper verzichtet nach heftiger Kritik auf
einen Topjob in der EU-Kommission. Die Sache ist auch für Chefin
Ursula von der Leyen brisant. Hat sie einen Parteifreund geopfert?

Brüssel (dpa) - Ursula von der Leyen hat mitten im Wahlkampf um eine
zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission eine schwere
politische Niederlage erlitten. Nach Vorwürfen der
Günstlingswirtschaft musste die CDU-Politikerin am späten Montagabend
mitteilen lassen, dass ihr Parteifreund Markus Pieper nicht wie
geplant den Posten des Beauftragten der EU-Kommission für kleine und
mittelgroße Unternehmen (KMU) übernimmt. Der langjährige
Europaabgeordnete aus dem Münsterland hätte die Stelle mit einem
Monatsgrundgehalt von mehr als 18 000 Euro eigentlich an diesem
Dienstag antreten sollen.

Pieper selbst begründete seinen Rückzug am Dienstag damit, dass er
den Job wegen einer parteipolitischen Kampagne gegen ihn vermutlich
monatelang nicht hätte vernünftig ausüben können. «Ich wäre im
Umfeld
des verantwortlichen Kommissars Thierry Breton in eine aussichtslose
Situation geraten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er
schließt allerdings eine zweite Chance auf den Posten nicht aus.

Pieper wirft Kritikern schlechten Stil vor

Das Europaparlament hatte die EU-Kommission zuvor wegen des Verdachts
der Günstlingswirtschaft aufgefordert, die Ernennung Piepers
rückgängig zu machen. Ein von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen

verfasster Antrag dazu wurde am Donnerstag im Plenum mit großer
Mehrheit angenommen. Kritik hatte es zuvor auch schon von
EU-Kommissaren aus dem Lager der Sozialdemokraten und Liberalen
gegeben - insbesondere von Breton, dem für den Binnenmarkt
zuständigen Ressortchef.

Vor allem den Widerstand des Franzosen nannte Pieper nun als
Begründung für seinen Rückzieher. «So, wie Breton meinen Amtsantrit
t
schon im Vorfeld innerhalb der Kommission boykottiert, sehe ich
zurzeit keine Möglichkeit, die mit dem Amt verbundenen berechtigten
Erwartungen zu erfüllen», sagte der 60-Jährige dem «Handelsblatt»
.
Dass ausgerechnet der für Mittelstand und Bürokratieabbau
verantwortliche Kommissar das Verfahren infrage stelle, sei
«schlechter Stil und ausschließlich parteipolitisch motiviert». 

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Die Europaabgeordneten hatten als Grund für ihren Antrag Zweifel
angeführt, ob bei der Ernennung Piepers «die Grundsätze der Leistung,

der Ausgewogenheit der Geschlechter und der geografischen
Ausgewogenheit» berücksichtigt worden seien. Indirekt wurde der
Kommissionspräsidentin vorgeworfen, mit Pieper gezielt einen
Parteifreund ausgewählt zu haben. Mit dem Antrag wurde die Kommission
auch aufgefordert, «ein wirklich transparentes und offenes Verfahren»
für die Auswahl des Beauftragten einzuleiten.

Hintergrund der Vorwürfe ist unter anderem, dass in der Anfangsphase
des Bewerbungsverfahrens zwei Bewerberinnen aus Schweden und
Tschechien besser bewertet worden waren als Pieper. Der seit 2004 im
Europaparlament sitzende CDU-Politiker setzte sich demnach erst in
den Auswahlgesprächen durch.

Mitarbeiter von der Leyens hatten hingegen bereits in den vergangenen
Wochen wiederholt darauf verwiesen, dass es in Bewerbungsprozessen
vollkommen normal sei, dass sich Kandidaten am Ende nicht
durchsetzten, die in den ersten Runden in Test noch besonders gut
abgeschnitten hätten. Beim Auswahlverfahren seien alle Regeln
eingehalten worden.

Neues Auswahlverfahren erst in Monaten

Ein Sprecher von der Leyens teilte am Montagabend mit, die
Präsidentin bedauere die Entscheidung Piepers, das Amt als
KMU-Beauftragter nicht wie geplant am 16. April anzutreten. Er
betonte noch einmal, der Europaabgeordnete sei ein ausgewiesener
Experte für KMU, der sich in einem mehrstufigen Auswahlverfahren
durchgesetzt habe. Zur Besetzung der Stelle soll es den Angaben
zufolge nun eine Neuauflage des Auswahlverfahrens geben - allerdings
erst nach der Europawahl im Juni.

Pieper sagte am Dienstag, er schließe es nicht aus, sich dann erneut
für die Stelle zu bewerben. Er hatte nach seiner Ernennung auf einen
aussichtsreichen Listenplatz für die Europawahl verzichtet und wird
damit nach der Wahl aus dem Europaparlament ausscheiden. 

Christdemokraten sehen die Kritik an der Ernennung Piepers bereits
seit Wochen als eine politische Kampagne gegen von der Leyen, die
nach der Europawahl im Juni erneut zur EU-Kommissionspräsidentin
ernannt werden will. Dafür spreche auch, dass EU-Kommissare aus
Reihen der kritischen Parteifamilien Einspruchsmöglichkeiten im
behördeninternen Verfahren nicht wahrgenommen hätten, heißt es.
Unklar blieb am Dienstag, warum von der Leyen Pieper die Stelle
absagen ließ. Aus Kommissionskreisen hieß es, es habe die Gefahr
bestanden, dass politische Gegner die Sache im Wahlkampf weiter
hochkochen. 

Mittelstandsvertreter bezeichnet von der Leyen als Fehlbesetzung

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) äußerte am
Dienstag dennoch vernichtende Kritik an von der Leyen und bezeichnete
sie als «folgenschwere Fehlbesetzung» und «Gift für den deutschen
Mittelstand». «Markus Pieper wäre ein versierter Koordinator für
mittelstandsrelevante Themen gewesen. Aber Frau von der Leyen hat
abermals andere Dinge auf der Agenda gehabt, als sich hierfür
einzusetzen», kommentierte der Vorsitzende der
Bundesgeschäftsführung, Christoph Ahlhaus, der wie Pieper und von der
Leyen CDU-Mitglied ist.  Das Trauerspiel der über Jahre verschleppten
und am Ende mehrfach gescheiterten Benennung eines
Mittelstands-Beauftragten sei ein weiterer Beleg für das vollständige
Desinteresse der Kommissionspräsidentin an einer
mittelstandsfreundlichen Ausrichtung der EU.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kritisierte
insbesondere die Entscheidung, ein neues Auswahlverfahren erst nach
der Europawahl im Juni zu starten. «Jetzt muss schnellstmöglich für
Klarheit gesorgt werden, wer denn nun der KMU-Beauftragte der
Europäischen Kommission wird», sagte Generalsekretär Holger
Schwannecke. Die Stelle sei zu wichtig, als dass sie noch länger
unbesetzt bleiben könne.