Weltkrisen statt Wettbewerbspolitik: EU-Gipfel tagt in Brüssel

17.04.2024 22:17

Wie kann ein großer Krieg in Nahost verhindert werden? Und woran
hapert es bei der Unterstützung der Ukraine? Bei einem EU-Gipfel geht
wieder einmal vor allem um Außenpolitik. Die Stimmung ist düster.

Brüssel (dpa) - Die besorgniserregenden Entwicklungen im Nahen Osten
und in der Ukraine haben den Auftakt eines zu Wirtschaftsthemen
geplanten EU-Gipfels in Brüssel überschattet. Zu Beginn des
zweitägigen Spitzentreffens standen am Mittwochabend vor allem
Beratungen über die beiden großen Konfliktherde auf der Tagesordnung
von Bundeskanzler Olaf Scholz und den Staats- und Regierungschefs der
anderen 26 EU-Staaten. Um Themen wie internationale
Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und Pläne für eine echt
e
Kapitalmarktunion soll es erst an diesem Donnerstag gehen.

Scholz rief zu Beginn des Gipfels eindringlich dazu auf, mehr Waffen
an die Ukraine zu liefern. «Der russische Angriffskrieg wird mit
großer Brutalität unverändert vorgetragen und wir wissen, dass wir
mehr tun müssen, als wir bisher machen, um die Ukraine zu
unterstützen», sagte der SPD-Politiker. Neben Munition und Artillerie
benötigten die ukrainischen Streitkräfte insbesondere
Luftverteidigungssysteme.

Scholz fordert Partner zum Nachgucken auf

Scholz verwies darauf, dass die Bundesregierung sich bereits für die
Lieferung eines weiteren Patriot-Flugabwehrraketensystems entschieden
hat. Die «furchtbaren» russischen Luftangriffe zeigten, «dass das
notwendig ist, genau da etwas zu machen», sagte der Kanzler. Bei dem
Brüsseler Spitzentreffen werde es für ihn auch darauf ankommen, viele
andere davon zu überzeugen, «dass sie noch mal nach Hause fahren und
gucken: Was geht da». Es müsse jetzt schnell gehandelt werden.

Mit Blick auf die dramatische Lage im Nahen Osten appellierte Scholz
am Mittwochabend erneut an Israel, nicht mit einem eigenen massiven
Angriff auf Irans Raketen- und Drohnenbeschuss zu antworten. Israel
solle stattdessen den Erfolg bei der Abwehr des Angriffes nutzen, um
seine eigene Position in der ganzen Region zu stärken, sagte er.

Gleicher Schutz für jeden Himmel?

In seiner Rede via Video vor den Staats- und Regierungschefs verwies
der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die erfolgreiche
Abwehr des iranischen Raketen- und Drohnenangriffs auf Israel.
«Leider haben wir in der Ukraine, in unserem Teil Europas nicht das
Niveau an Verteidigung, dass wir vor einigen Tagen im Nahen Osten
gesehen haben», sagte er. «Unser ukrainischer Himmel und der Himmel
über unseren Nachbarn verdient die gleiche Sicherheit.» Die Ukraine
brauche mehr Flugabwehrwaffen, sagte er und nannte als eine
Begründung den russischen Raketenangriff auf die Stadt Tschernihiw
vom Mittwoch mit 17 Toten. Er dankte Deutschland für die
Bereitschaft, ein drittes Patriot-System abzugeben. 

Angst vor Krieg zwischen Israel und Iran

Nach dem iranischen Großangriff auf Israel am Wochenende ist die
Sorge in der EU groß, dass sich der Konflikt bei einem harten
israelischen Gegenschlag weiter ausbreiten könnte. Auslöser der
iranischen Attacke war ein mutmaßlich israelischer Angriff auf die
iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus gewesen.
Dabei waren zu Beginn des Monats unter anderem zwei Generäle der
iranischen Revolutionsgarden getötet worden.

In einem Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels werden Israel
und der Iran zu einem Verzicht auf weitere Angriffe gegeneinander
aufgerufen. «Der Europäische Rat (...) fordert alle Parteien
nachdrücklich auf, äußerste Zurückhaltung zu üben und keine Maß
nahmen
zu ergreifen, die die Spannungen in der Region verstärken könnten»,
heißt es in dem Text. Die EU sei bereit, mit allen Partnern
zusammenzuarbeiten, um eine weitere Eskalation der Spannungen zu
vermeiden.

Revolutionsgarden könnten auf Terrorliste kommen

Bei dem Gipfel sollte zudem der Wille für weitere EU-Sanktionen gegen
den Iran bekräftigt werden, insbesondere im Zusammenhang mit Drohnen
und Raketen. Scholz machte zudem deutlich, dass er auch einen
möglichen Ansatz für die von Israel geforderte Einstufung der
iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation sieht. Es gebe
ein Urteil zu der Frage der Aktivitäten dieser Organisation, erklärte
er. Dies könnte ein Ausgangspunkt für die Listung der
Revolutionsgarden sein. Eine juristische Prüfung in der EU zu dem
Thema laufe derzeit.

Eine Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als
Terrororganisation wird von Israel bereits seit langem gefordert,
nach dem iranischen Angriff vom Wochenende war dies noch einmal
bekräftigt worden. In der Vergangenheit hatte die EU immer betont,
eine Terror-Listung der Garden sei derzeit rechtlich nicht möglich,
weil es dafür eine nationale Gerichtsentscheidung oder
Verbotsverfügung einer Verwaltungsbehörde brauche.

Im vergangenen Dezember hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf aber
ein Urteil wegen eines versuchten Anschlags auf eine Synagoge in
Bochum gefällt, auf das sich Scholz nun wohl bezogen hat. Damals war
ein Deutsch-Iraner wegen Verabredens einer schweren Brandstiftung und
versuchter Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und neun Monaten verurteilt worden (Aktenzeichen III-6 StS
1/23). 

Neue Sanktionsforderungen gegen Russland

Belgien und Tschechien kamen zudem mit neuen Sanktionsforderungen
gegen Moskau zu dem Spitzentreffen - angesichts einer möglichen
russischen Unterwanderung der kommenden Europawahlen. «Wir können
nicht zulassen, dass Russland mit einem solch eklatanten Angriff auf
unsere demokratischen Institutionen und Grundsätze davonkommt»,
schrieben die Regierungschefs beider Länder in einem Brief. Deswegen
sei es an der Zeit für ein neues Sanktionsregime. Damit ist der
rechtliche Rahmen gemeint, in dem Strafmaßnahmen gegen Personen und
Organisationen verhängt werden können.

Belgiens Justiz ermittelt derzeit wegen Hinweisen prorussischer
Einmischungsnetzwerke mit Aktivitäten in mehreren europäischen
Ländern zu einem Einflussversuch Moskaus auf die im Juni anstehenden
Europawahlen. Tschechien hatte zudem Ende März nach
Geheimdienstermittlungen die prorussische Internetplattform «Voice of
Europe» (VoE) auf die nationale Sanktionsliste gesetzt.