EU will heimische Wirtschaft stärken - und sucht Geld

18.04.2024 20:05

Die EU will im internationalen Wettbewerb mit Amerika und Asien den
Anschluss nicht verlieren. Dafür braucht es Geld. Woher nehmen?

Brüssel (dpa) - Konkurrenz im Westen und Osten, Kriege und Krisen:
Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen die Wirtschaftspolitik
der Staatengemeinschaft schnell an aktuelle Herausforderungen
anpassen. Angesichts geopolitischer Spannungen und der
Subventionspolitik einiger Länder brauche Europa einen
wirtschaftspolitischen Wandel, schrieben die Spitzen der 27
EU-Mitgliedstaaten am Donnerstag in einer Abschlusserklärung ihres
Gipfeltreffens in Brüssel.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: «Das ist der größte Binnenmarkt der

Welt, aber er hat seine Potenziale und Möglichkeiten noch lange nicht
ausgeschöpft.» Ein auf dem Gipfel diskutierter Sonderbericht gab etwa
neue Impulse zu in Europa bislang streng reglementierten Staatshilfen
für die Wirtschaft.

Die EU sieht sich zunehmender Konkurrenz vor allem aus den USA und
China ausgesetzt. Beide Länder verschaffen ihren Unternehmen aus
EU-Sicht mit hohen Subventionen Vorteile, so dass Europa das
Nachsehen hat.

Damit die EU nicht abgehängt wird, braucht es vor allem Geld. «Wir
müssen mehr Mittel mobilisieren», sagte EU-Ratspräsident Charles
Michel. In der Gipfelerklärung nennen die Spitzenpolitiker
öffentliche und private Finanzierungen als erforderlich für
Investitionen in strategische Schlüsselbereiche und Infrastrukturen.

In seinem Sonderbericht nennt Verfasser Enrico Letta die
Mobilisierung von Geld von Privatleuten und Firmen als Priorität. Der
ehemalige Regierungschef Italiens war im vergangenen Jahr mit der
Analyse beauftragt worden. 33 Billionen Euro an privaten Ersparnissen
sind dem Bericht zufolge in der EU vorhanden - überwiegend in Bargeld
und Einlagen. Jährlich rund 300 Milliarden Euro an Ersparnissen
europäischer Bürger würden ins Ausland umgeleitet - vor allem in die

USA, schreibt er in seinem Bericht.

Auch vor diesem Hintergrund drängten die Staats- und Regierungschefs
nach Jahren ohne große Fortschritte auf ein «unverzügliches»
Vorantreiben der Kapitalmarktunion, wie es in der Gipfelerklärung
heißt. Sie sei der Schlüssel, um Privatkapital zu erschließen.
Konkret soll die Entwicklung grenzüberschreitender Anlage- und
Sparprodukte beschleunigt werden. Auch in zwei zuvor umstrittenen
Punkten konnten die Mitgliedsländer Fortschritte machen: So
verständigten sie sich darauf, Arbeiten voranzutreiben, um wichtige
Aspekte der nationalen Regeln für Unternehmensinsolvenzen
anzugleichen.

Zum anderen soll die Aufsicht über die Kapitalmärkte in der EU
effizienter werden. Die Staats- und Regierungschefs beauftragten die
EU-Kommission zu erarbeiten, wie die europäischen Aufsichtsbehörden
besser zusammenarbeiten können - um so die wichtigsten
grenzüberschreitend tätigen Finanzunternehmen besser überwachen zu
können. Der Abschlusserklärung zufolge soll auch das
Finanz-Allgemeinwissen von Bürgerinnen und Bürgern gestärkt werden.
Wer über mehr Wissen und Know-how verfügt, investiert eher, so die
Hoffnung.

Scholz hält nach dem Treffen weitere Fortschritte beim
Zusammenwachsen der europäischen Kapitalmärkte für möglich.
«Wahrscheinlich ist der nicht ausreichend entwickelte Kapitalmarkt in
Europa die wesentliche Ursache, warum die Wachstumsdynamik in Europa
nicht so groß ist, wie sie in manchen anderen Plätzen der Welt ist»,

sagte der SPD-Politiker. «Ich glaube, dass wir also in diesem Feld
jetzt endlich Fortschritte sehen werden.»

Mit Blick auf öffentliche Gelder sollen nach dem Willen der Staats-
und Regierungschefs vor allem die Europäische Investitionsbank und
der langfristige Haushalt der Staatengemeinschaft eine Rolle spielen.

Zudem wird in der Staatengemeinschaft darüber nachgedacht, mehr
Staatshilfen in Europa zuzulassen, um die Auswirkungen staatlicher
Beihilfen für Unternehmen in China und den USA abzufedern. In seinem
Bericht plädiert Letta dafür, dass es strengere Regeln für staatliche

Beihilfen auf nationaler Ebene, aber mehr öffentliche Gelder für
Projekte auf EU-Ebene geben sollte. Mitgliedstaaten sollen
verpflichtet werden, einen Teil ihrer Mittel für europaweite Projekte
bereitzustellen. Die Staats- und Regierungschefs fordern die
Kommission auf, den bürokratischen Aufwand für Unternehmen und
nationale Behörden erheblich zu verringern.