Erstmals EU-Sanktionen wegen Siedlergewalt im Westjordanland

19.04.2024 15:59

Gewalttaten radikaler israelischer Siedler gelten als ein Hindernis
für Bemühungen um eine langfristige Friedenslösung im
Nahost-Konflikt. Die EU setzt jetzt ein klares Zeichen.

Brüssel (dpa) - Die EU hat erstmals Sanktionen wegen der Gewalt
radikaler israelischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland
verhängt. Die Mitgliedstaaten beschlossen die Strafmaßnahmen gegen
Personen und Organisationen, die dafür verantwortlich sein sollen, am
Freitag in einem schriftlichen Verfahren. Ab sofort mit Sanktionen
belegt sind vier Männer, denen zum Beispiel Folter, Erniedrigungen
oder Verstöße gegen das Eigentumsrecht vorgeworfen werden, wie aus
dem EU-Amtsblatt hervorging. Zudem sind die radikale Jugendgruppe
Hilltop Youth und eine rechtsradikale jüdische rassistische Gruppe
mit dem Namen Lehava betroffen. 

Symbolisch bedeutender Schritt

Angriffe gegen Palästinenser werden wie der Siedlungsbau im
Westjordanland als eines der Hindernisse für Bemühungen um eine
langfristige Friedenslösung im Nahost-Konflikt gesehen - insbesondere
auch nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober. Die EU hat die
Gewalttaten und den Siedlungsbau bereits wiederholt verurteilt - für
Strafmaßnahmen gab es aber bis heute nie den erforderlichen Konsens. 

Die Sanktionsentscheidung gilt deswegen als ein Anzeichen für einen
Kurswechsel in der Israel-Politik der EU - auch wenn die
Strafmaßnahmen an sich für die Betroffenen vergleichsweise geringe
Auswirkungen haben. Im Idealfall sollen die sie nach Angaben von
Diplomaten aber dazu führen, dass die israelische Justiz sich künftig
engagierter um die Verfolgung von Gewalt von israelischen Siedlern
gegen palästinensische Dörfer und Olivenhaine kümmert.

Aufrufe zu Gewalt nicht nur gegen Palästinenser 

Hilltop Youth wird im EU-Amtsblatt als eine Gruppe beschrieben, die
sich aus Mitgliedern zusammensetze, die für Gewalttaten gegen
Palästinenser und deren Dörfer im Westjordanland bekannt seien. Die
Strafmaßnahmen gegen Lehava begründet die EU unter anderem damit,
dass diese Gewalt anwende und zu Gewalt gegen Palästinenser, Christen
und Messianische Juden anstifte. Lehava-Mitglieder hätten zum
Beispiel «Tod den Arabern» gesungen und bei Kundgebungen dazu
aufgerufen, zu den Waffen zu greifen.

Lehava organisiere zudem gewaltsame Proteste gegen
jüdisch-muslimische Hochzeiten und die LGBTQI-Gemeinschaft.
Lehava-Mitglieder schikanierten arabisch-jüdische Paare und griffen
diese an. Zu den betroffenen Personen zählen Mitglieder von Hilltop
Youth wie der Siedleraktivist Elisha Yered und ein Mann namens Neria
Ben Pazi. Letzterer soll im Jahr 2019 vier der gewalttätigsten
Außenposten im Westjordanland errichtet haben.

Ungarn verhindert lange Sanktionen

Die Sanktionen gegen Siedler hätten eigentlich bereits vor längerem
beschlossen werden sollen. Die ungarische Regierung, die in der EU
als besonders israelfreundlich gilt, signalisierte allerdings erst im
vergangenen Monat, dass sie ihnen nicht mehr im Weg steht. Teil der
Einigung war, dass es auch neue Strafmaßnahmen gegen bewaffnete
islamistische Gruppen gibt. Sie waren bereits in der vergangenen
Woche verhängt worden - insbesondere wegen des Einsatzes
«systematischer und weiträumiger sexueller und
geschlechtsspezifischer Gewalt».

Die Sanktionen wurden mithilfe des EU-Sanktionsinstruments zur
Ahndung von schweren Menschenrechtsverstößen verhängt. Personen, die

betroffen sind, dürfen nicht mehr in die EU einreisen und keine
Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen. Außerdem müssen von den
Betroffenen in der EU vorhandenen Konten und andere Vermögenswerte
eingefroren werden. 

Mit den Sanktionen folgt die EU dem Beispiel der USA. Diesen haben
bereits Strafmaßnahmen verhängt, die sich gegen extremistische
israelische Siedler richten. Die USA werfen den Betroffenen unter
anderem vor, sich im Westjordanland an Gewalt gegen palästinensische
Zivilisten beteiligt zu haben.

UN stufen Siedlungen als Hindernis für Friedensregelung ein

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hatte die
Entwicklungen in dem Gebiet erst in der vergangenen Woche wieder als
höchst besorgniserregend bezeichnet. Im Westjordanland würden
Palästinenser ständig von Hunderten israelischen Siedlern
angegriffen, die oft vom Militär unterstützt würden, ließ er
mitteilen. Nach der Tötung eines 14-jährigen Israeli aus einer
Siedlerfamilie seien bei Racheakten vier Palästinenser getötet
worden, darunter ein Kind. Israel sei als Besatzungsmacht
verpflichtet, Palästinenser vor Siedlerattacken und rechtswidriger
Gewalt durch Sicherheitskräfte zu schützen, so Türk.

Ein Grund für die angespannte Lage im Westjordanland ist, dass Israel
dort seit der Eroberung des Gebiets im Sechstagekrieg 1967
umstrittene Siedlungen ausbaut. Die Zahl der Siedler in dem Gebiet,
das zwischen dem israelischen Kernland und Jordanien liegt, ist
inzwischen auf etwa eine halbe Million gestiegen. Einschließlich
Ost-Jerusalems sind es sogar 700 000. Die Siedler leben inmitten von
rund drei Millionen Palästinensern.

Die Vereinten Nationen haben diese Siedlungen als großes Hindernis
für eine Friedensregelung eingestuft, weil sie kaum noch ein
zusammenhängendes Territorium für die Palästinenser bei einer
möglichen Zweistaatenlösung zulassen. Als ein weiterer Grund für die

angespannte Lage gelten Razzien der israelischen Armee in Städten des
Westjordanlands wegen Anschlägen von Palästinensern auf Israelis.