Schleierfahnder suchen verdächtige Fotoalben und flüchtende Mörder Von Ulf Vogler, dpa

11.03.2007 01:30

Passau/Waidhaus (dpa) - Der 1. Januar 2008 wird an der bayerisch-
tschechischen Grenze ein historisches Datum. Denn dann sollen nach
derzeitiger Planung an der Grenze, die einst der «Eiserne Vorhang»
genannt wurde und Symbol des Kalten Krieges war, die letzten
Kontrollen wegfallen. Wenn die Schlagbäume abgeschraubt werden,
können sich nicht nur Touristen und Geschäftsreisende über freie
Fahrt freuen. Auch Drogenkurieren und Autoschiebern wird es ein Stück
leichter gemacht, ihre illegale Fracht zu befördern.

Damit sich die Kriminellen künftig in dieser Region nicht zu
sicher fühlen können, will die Polizei das in Südbayern seit Jahren
erprobte System der Schleierfahndung auch im Osten des Freistaates
massiv einsetzen. Besonders stark soll die Fahndung rund um Waidhaus
laufen. Mit mehr als zehn Millionen Reisenden jährlich ist der
dortige Autobahn-Übergang bislang noch einer der größten Grenzposten
Europas.

Beim niederbayerischen Passau ist die Schleierfahndung längst rund
um die Uhr Alltag. Seit vor neun Jahren die Kontrollen zwischen
Deutschland und Österreich abgeschafft wurden, sind dort die
Polizisten auf Autobahnen, Bundesstraßen und in Zügen aktiv. In der
Vergangenheit war die Schleierfahndung umstritten, mehrfach mussten
sich Gerichte mit den «ereignis- und verdachtsunabhängigen
Kontrollen» beschäftigen. Die Polizei setzt den Kritikern Statistiken
entgegen: So decken allein die rund 70 Passauer Fahnder jedes Jahr
rund 2000 Straftaten auf.

Dabei ist oftmals Intuition gefragt. Einmal entdeckten die Fahnder
6,5 Kilogramm Heroin und Kokain, das zwei Männer zwischen den Deckeln
von 19 Familien-Fotoalben versteckt hatten. «Die Täter sind sehr
kreativ, aber das sind wir mittlerweile auch», sagt Ludwig List, der
Leiter der Passauer Fahndungsinspektion.

Die Dienstwagen der Polizisten sind nicht nur flott und geräumig.
Zur schnellen Abfrage von Kennzeichen und Personalien hat der
Beifahrer einen Spezialcomputer und im Kofferraum steht ein Kopierer,
um im Zweifelsfall die Papiere gleich ablichten zu können. In solchen
mobilen «Büros» suchen auch der Beamte Dieter Reher und sein Kollege
Sigi Heindl die Autobahn und insbesondere die Rastplätze nach
möglichen Straftätern ab.

Die Polizisten betonen, dass es ihnen nur darum gehe, Verdächtige
aus dem schier unendlichen Verkehrsstrom zu fischen. Unbescholtene
Bürger versuchten sie möglichst unbehelligt zu lassen. Aber manchmal
ist jemand einfach schon dann verdächtig, wenn er den «falschen»
Wagen fährt. Besitzer eines BMW X5 können froh sein, wenn sie die A3
zwischen Hengersberg und der Grenze passieren, ohne ins Visier der
Fahnder zu geraten. So muss auch der Fahrer eines X5 aus dem Raum
Augsburg eine Fahrzeugdurchsuchung über sich ergehen lassen. Der Mann
hat aber Verständnis für die zehnminütige Zwangspause. «Die Modelle
werden oft geklaut - oder?», fragt er die Polizisten. Heindl
bestätigt das: «Solche Wagen werden auf Bestellung gestohlen und dann
nach Osteuropa gebracht.»

Die Beamten wissen, dass sie einen gefährlichen Job haben. Daran
werden sie auf dem Flur ihrer Inspektion erinnert, wo die Fotos von
zwei Passauer Kollegen hängen, die 1992 erschossen wurden.
Entsprechend geht Heindl nicht ohne schusssichere Weste auf die
Straße, auch wenn dies keine Pflicht ist. «95 Prozent der Kollegen,
die da draußen rumkurven, haben Westen an.» Wenn dem 39-Jährigen bei
einer Fahrzeugdurchsuchung die Insassen suspekt vorkommen, lässt er
schon einmal demonstrativ die Hand an seiner Pistole. Mit der anderen
Hand sucht er dann unter den Fußmatten und in anderen potenziellen
Verstecken nach Drogen.

Mehrfach haben die Beamten schon Mörder und andere
Schwerkriminelle gefasst. So wurde vor zwei Jahren ein 22-Jähriger
auf der Flucht festgenommen, der einen Tag zuvor in Dänemark auf
offener Straße zwei junge Männer erschossen hatte - die Waffe lag
noch im Auto.
dpa rv yyby sr