Über Verheugens Brüsseler Dienstverhältnis entscheidet Berlin Von Dieter Ebeling, dpa

19.09.2007 13:51

Brüssel (dpa) - Günter Verheugen (63) ist seit September 1999 EU-
Kommissar in Brüssel - aber über seine berufliche Zukunft wird allem
Anschein nach ganz wesentlich in Berlin entschieden. Bis 2009 läuft
die Amtszeit des für Unternehmen und Industrie zuständigen
Kommissars. Doch der SPD-Politiker muss sich des Vorwurfs erwehren,
sehr Privates und zutiefst Berufliches verquickt zu haben. Das
bestreitet er - und auch Kommissionspräsident José Manuel Barroso
will davon nichts wissen.

In Berlin warnte die SPD die Unionsparteien nun davor,
die Vorwürfe gegen Verheugen parteipolitisch auszunutzen. «Mit der
großen Koalition wird es keinen CDU/CSU-Kommissar geben», tönte der
europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer.
Das korrespondiert mit Deutungen hochrangiger Kommissions-Insider.
Sie sagen schon seit einigen Wochen hinter vorgehaltener Hand,
Barroso lasse in der delikaten Frage gern der deutschen Regierung den
Vortritt. Falls überhaupt eine Entscheidung über Verheugen anstehe,
dann liege sie bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Seit fast einem Jahr wird über Verheugen mehr geredet als diesem
lieb sein kann. Die Behauptung: Mit der Leiterin seines Kabinetts,
Petra Erler (49), die er im Frühjahr 2006 auf den wichtigen und
hochdotierten Posten in der Kommission befördern ließ, verbinde ihn
mehr als nur die Liebe zur Europäischen Union.

Auslöser waren Fotos im Magazin «Focus», die die beiden
händchenhaltend beim Urlaub in Litauen zeigten. Dann kursierten
Gerüchte über Nacktfotos von Verheugen und Erler an einem litauischen
FKK-Strand. Der verheiratete Verheugen trat allen Behauptungen, Erler
sei ihm nicht nur per Dienstverhältnis verbunden, empört entgegen.
Zum Zeitpunkt der Berufung seiner Stabschefin habe es «keine über
eine persönliche Freundschaft hinausgehende Beziehung» gegeben. «So
ist die Situation auch heute», erklärte Verheugen. Das bekräftigte er
zuletzt Mitte September wieder.

Da hatte die Ex-Bundestagsabgeordnete Katrin Fuchs (SPD), eine
Freundin von Verheugen-Ehefrau Gabriele, der Illustrierten «Bunte»
gerade berichtet, der Kommissar sei schon seit 2005 mit Erler
verbandelt. Zuvor hatte Gabriele Verheugen mitgeteilt, sie und ihr
Mann hätten sich getrennt. Der Kommissar ließ erklären, das alles sei
seine Privatsache. Seine Darstellung des rein freundschaftlichen
Verhältnisses zu Petra Erler stimme nach wie vor.

Barroso hat mehrfach erklären lassen, er respektiere das
Privatleben der Kommissionsmitglieder und habe Vertrauen zu
Verheugen. «Natürlich erwartet der Präsident, dass die Mitglieder
seiner Kommission die Wahrheit sagen. Und er hat keinen Grund zur
Annahme, dass sie es nicht tun», sagt Barroso-Sprecherin Pia
Ahrenkilde Hansen.

Rein rechtlich gäbe es selbst für den Fall, dass Verheugen mit
seiner Kabinettschefin mehr als nur befreundet wäre, kaum Probleme.
Die Kommissare haben bei der Besetzung einer Handvoll engster
Mitarbeiter, an deren Spitze der «Chef de Cabinet» steht, eine
Entscheidungsfreiheit, die die normale Postenvergabe außer Kraft
setzt. Politisch wichtiger ist Verheugens Glaubwürdigkeit.

«Günstlingswirtschaft» werfen Verheugen Europaabgeordnete wie Inge
Gräßle (CDU) vor. Sie könne der Ansicht Barrosos nicht folgen, dass
ein Interessenkonflikt erst dann bestehe, wenn der Betreffende selbst
ihn offiziell deklariere, meint Gräßle. Für Barroso läuten bei dies
em
Stichwort alle Alarmglocken - ist er doch ein Nachfolger des
unglücklichen Luxemburgers Jacques Santer, dessen gesamte Kommission
vor allem wegen der ausufernden Günstlingswirtschaft der in Unehren
geschassten französischen Kommissarin Edith Cresson abtreten musste.

Barroso hat die Kommissare im Einvernehmen mit den jeweiligen
Regierungen ernannt. Nur falls ein Kommissar einer Lüge überführt
würde, könnte Barroso ihn kippen, sagt ein Kommissions-Insider.
Unterhalb dieser Schwelle liege jedoch die politische Entscheidung
über den Verbleib eines Kommissars bei den Regierungen, im Fall
Verheugen bei der Kanzlerin. Aber Verheugens Position in der
Kommission - vergleichbar der eines deutschen Ministers - ist Teil
des personellen Gleichgewichts in der großen Koalition. Verwerfungen
dort wären die Folge eines vorzeitigen und unfreiwilligen Abgangs.

dpa eb xx a3 tm