Brüsseler Internet-TV-Projekt für Bürgernähe - Kampagne ab Februar Von Tobias Goerke, dpa

29.01.2009 11:14

Brüssel/Berlin (dpa) - Das Ziel heißt Bürgernähe. Mit einem
eigenen TV-Kanal in 22 Sprachen wollen die EU-Abgeordneten bis in den
letzten Winkel Europas vordringen. Das Europäische Parlament lässt
sich den Internet-Sender namens «EuroparlTV» jährlich neun Millionen
Euro kosten. Was bislang fehlt, sind die Zuschauer. Seit dem Start im
September klickten gerade einmal rund 150 000 Internet-Nutzer in die
Bilder aus dem Parlament, das in Straßburg und Brüssel tagt.

Zum Vergleich: Auf der Plattform YouTube sehen sich täglich
Millionen Menschen Videos an. Dabei muss sich der Erfolg von
«EuroparlTV» möglichst rasch einstellen, denn der Kanal soll
mithelfen, mehr Menschen für die Europawahl am 7. Juni zu begeistern
- vor fünf Jahren wählte nicht einmal jeder zweite EU-Bürger.

Das Programm des Parlaments-TV sorgt jedoch bislang noch für wenig
Begeisterung - gezeigt werden Interviews, Reden und Dokumentationen.
Die Macher sind sich der medialen Außenseiterrolle bewusst. «Das ist
kein MTV», meint ein Sprecher mit Blick auf den internationalen
Musiksender.

In der Politik sind die Ansprüche aber dennoch groß. «Das Ziel
ist, die hundertfache Zahl von Nutzern zu erreichen», sagt der
spanische Vizepräsident des EU-Parlaments, Alejo Vidal-Quadras. Statt
150 000 Zuschauern in vier Monaten wären das hochgerechnet dann
150 000 an jedem Tag.

Dafür will der Internet-Sender vom Februar an kräftig die
Werbetrommel rühren. «Wir werden eine Marketing-Kampagne starten. Das
ist ein guter Moment dafür», sagt ein Projektsprecher. «Wenn die
Leute sich das Programm angucken, dann doch vor den Wahlen.»

Korrespondenten von europäischen Medien in Brüssel hegen jedoch
Zweifel an der Unabhängigkeit des Senders. Laut Satzung soll das
Programm die Meinungsvielfalt im Parlament «unter angemessener
Beachtung der jeweiligen Stärke der Fraktionen» widerspiegeln. Nach
diesem Schema würden die Konservativen und die ebenfalls gut
vertretenen Sozialisten besonders viel Sendezeit erhalten. «Das ist
ein Widerspruch - diese Klausel hat da nichts zu suchen», kritisiert
der Präsident der Vereinigung der internationalen Presse (API) in
Brüssel, Lorenzo Consoli.

In Deutschland gibt es hauseigenes Bundestags-TV im Internet schon
seit 2001, Werbung wurde dafür noch nie gemacht. «Die Zuschauerzahlen
sind für uns ein Zeichen, wie das politische Interesse da ist», sagt
die Chefin des Parlaments-Fernsehens, Maika Jachmann, in Berlin. Und
für gewöhnlich halte sich das in Grenzen. Immerhin wurden die Videos
2008 von rund drei Millionen Nutzern angeklickt - Tendenz steigend.
Zu den Kosten für die Filmproduktion, an der in Sitzungswochen bis zu
14 Mitarbeiter beteiligt sind, will sich Jachmann nicht äußern.

Für «EuroparlTV» arbeiten sogar mehr als 50 Kameraleute,
Journalisten, Producer und Übersetzer. Österreichische Journalisten
rechneten aus, dass eine Stunde Programm bisher rund 60 000 Euro
kostete. Solche Rechenspiele lassen Parlaments-Vize Vidal-Quadras
jedoch kalt: «Verglichen mit einem möglichen Publikum von fast 500
Millionen EU-Bürgern sind das sehr geringe Kosten.»

Neben der Produktion fließt das meiste Geld nach Angaben der
Brüsseler TV-Macher in den Betrieb eines Servers mit eigener
Internetadresse. Die Filme auf der Webseite des Bundestags sind
hingegen schwerer zu finden - von einer eigenen Homepage hält man in
Berlin nichts. Die Internetseite des Bundestags und das Parlaments-
TV gehören in Berlin zusammen, betont TV-Chefin Jachmann. Bei
wichtigen Live-Übertragungen stünden die Filme sowieso automatisch
auf der Startseite.

Das EU-Parlament setzt hingegen auf die Weite des Internets. Die
Videos soll nach Angaben des Abgeordnetenhauses zusätzlich auf
Webseiten von Bildungskanälen oder Schulnetzwerken, aber auch auf
YouTube platziert werden. Vizepräsident Vidal-Quadras hält das für
den Schlüssel zum Erfolg: «Wenn etwas einmal in dieser Welt ist, kann
es Millionen von Menschen erreichen». Millionen EU-Bürger haben das
Programm allerdings bislang ignoriert.

(Internet: www.europarltv.europa.eu)
dpa goe cb xx a3 kh